Die Schändung des jüdischen Friedhofes

Auf dem jüdischen Friedhof auf dem Schwarzenberg, damals Hermann-Göring-Platz 8, stand in der südwestlichen Ecke die Leichenhalle. Sie wurde, so heißt es im Urteil zum Prozess gegen die an den Ausschreitungen Beteiligten aus dem Jahre 1949

»1857 als Totenhaus erbaut und im Jahre 1900 durch den Anbau eines großen Andachtsraumes zur Leichenhalle erweitert. Rund 19 Meter lang und 7,5 Meter breit, war sie aus massiven Backsteinmauern ausgeführt. Die Dachkonstruktion bestand aus Holzgebälk. Das Gebäude enthielt den erwähnten Andachtsraum, zwei kleinere Räumlichkeiten, einen zur Waschung und Aufbewahrung der Leichen nach israelitischem Ritus eingerichteten Raum und einen weiteren für den Aufenthalt der Totenwache. Die Leichenkammer enthielt einen großen Waschtisch, außerdem Zinnschüsseln und Eimer. In einer Remise, die Bestandteil des Gebäudes war und mit diesem ein gemeinschaftliches Dach hatte, war ein Leichenwagen untergebracht. Auf diesem Wagen war ein großer Holzsarg festmontiert. Nach jüdischem Brauch wurden die Leichen in leichten Holzkisten zur Erde bestattet; jener Sarg diente zur Aufnahme der Kisten während des Transports.«

Am frühen Abend des 10. November, wahrscheinlich gegen 19 Uhr, wurde die Leichenhalle in Brand gesetzt.

"Es sammelte sich alsbald eine große Menge Schaulustiger. Einige Männer, Angehörige der Marine-SA […], zogen den Leichenwagen, dessen Behänge leicht Feuer gefaßt hatten, aus der Halle heraus und stellten ihn, nachdem sie die Tücher gelöscht hatten, zunächst etwas abseits unter Bäumen, außerhalb des Friedhofs, ab. Von hier wurde der Wagen bald darauf von Angehörigen der HJ und anderen Halbwüchsigen fortgezogen, wieder in Brand gesetzt und brennend umhergezogen."

Die Feuerwehr war auch zugegen. Im Einsatzbuch der Feuerwehr findet sich für den 10. November 1938 eine entsprechende Eintragung:

»20.04 Uhr Harburg, Hermann-Göring-Platz; Name und Wohnung des Eigentümers/Geschädigten: Jüdische Synagogengemeinde; Gegenstand des Brandes: Dachstuhl und Einrichtungsgegenstände Synagoge; Ursache des Brandes: nicht ermittelt. Großfeuer.«

Die Brandursache war im Einsatzbericht also nicht festgehalten worden.

Der Darstellung im Urteil des Synagogen-Prozesses folgend, wurde die Feuerwehr bei den Löscharbeiten an der Leichenhalle durch die umstehende Menge behindert.

Ob es die Menge war, oder aber einzelne NSDAP-Funktionäre, hatte das Gericht 1949 nicht zu klären vermocht. Im Urteil heißt es zu den weiteren Vorgängen:

»Der Dachstuhl der Halle und die anderen hölzernen Bestandteile standen in hellen Flammen. Die im Halbkreis um die Brandstelle angetretene HJ begleitete jeden Sturz von brennenden Balken mit Trommelwirbeln. Der Angeklagte Drescher […] ordnete an, dass die Gebäude des ‚Schützenparks‘ (ein auf dem an den jüdischen Friedhof angrenzendes Lokal) zum Schutz gegen Funkenflug unter Wasser genommen würden.«

Daran, dass die Feuerwehr den »Schützenpark« vor dem Übergreifen der Flammen schützte, erinnert sich auch Hermann Westphal:

»Diese Kapelle stand in Nachbarschaft zu einem großen Lokal, dem Schützenpark, in dem die Nationalsozialisten mit Vorliebe ihre Versammlungen und Feste feierten und abhielten. Die Berufsfeuerwehr, die nun ausgerückt war, die hielt nun dieses Lokal unter Wasser mit ihren Schläuchen, und die ließ die Kapelle abbrennen. Die Kapelle brannte lichterloh, und die Berufsfeuerwehr löschte nicht, die passte nur auf, dass das Feuer nicht auf den Schützenpark übergriff.«

NSDAP-Kreisleiter Drescher hielt schließlich eine Rede, über deren

»Sinn und den Schluss […] sichere Feststellungen nicht getroffen werden konnten. Jedenfalls verbot der Angeklagte Drescher den Halbwüchsigen, Unfug auf dem israelitischen Friedhof zu treiben.«

Diese Ermahnung, wenn Drescher sie denn wirklich an die Jugendlichen gerichtet hatte, war jedoch wohl kaum dem Respekt gegenüber den jüdischen Toten gezollt, sondern eher dem Wunsch der Nationalsozialisten, noch im Pogrom Disziplin zu wahren. Anderthalb bis zwei Stunden nach Beginn der Ausschreitungen hatte sich die Menschenmenge offenbar soweit verlaufen, dass es der Feuerwehr gelang,

»den Brand der zur Ruine verwandelten Leichenhalle vollständig zu löschen.«

 

Über die Täter...