Rezensionen
Hier finden Sie Besprechungen von Fachliteratur und Filmen. Die Moderation hat Karsten Wilke übernommen.
Cornelia Brink: „Auschwitz in der Paulskirche“. Erinnerungspolitik in Fotoausstellungen der sechziger Jahre. Marburg 2000, Jonas Verlag [Paperback, 95 Seiten, Preis: DM 29,80] Vom Dezember 1963 bis zum
August 1965 fand in Frankfurt der Auschwitz-Prozess statt. Weniger bekannt ist, dass
parallel dazu in der Paulskirche zwei aufsehenerregende Fotoausstellungen zum
Thema Holocaust gezeigt wurden. Cornelia Brink untersucht in ihrem aktuellen
Buch die Bezüge zwischen Prozess und Ausstellungen. Sie versucht die Rundgänge
zu rekonstruieren und schließt mit grundsätzlichen Überlegungen zum Einsatz
von Fotomaterial in der Öffentlichkeit, ein Problemfeld auf dem sie über
herausragende Kenntnisse verfügt, wie sie bereits in ihrer eindrucksvollen
Publikation Ikonen der Vernichtung: Öffentlicher
Gebrauch von Fotografien aus nationalsozialistischen Konzentrationslagern
(Berlin 1998) unter Beweis stellte. Vom 20.11. bis zum 31.12.1963 war die Ausstellung „Warschauer Ghetto“ in Frankfurt zu sehen. Sie
basierte zum größten Teil auf Material, dass Alexander Bernfes, ein Überlebender
des Ghettos, für ein Ausstellungsprojekt in London zusammengestellt hatte. Ein
Jahr später, am 18.11.1964 wurde die Ausstellung „Auschwitz – Bilder und
Dokumente“ eröffnet, die bis zum 20.12. des Jahres bestand. Obwohl
Organisation und Durchführung - mal mehr, mal weniger verdeckt - permanent von
Kontroversen begleitet waren, erlebten beide Projekte einen überwältigenden
Publikumserfolg mit 61.000 bzw. 88.000 BesucherInnen und Besuchern. Cornelia Brink streicht zunächst
die hohe symbolische Bedeutung der wiederaufgebauten Paulskirche als
Veranstaltungsort hervor. Kein anderer Platz konnte besser dafür bürgen, dass
die Deutschen bereit dazu waren, die nationalsozialistische Vergangenheit durch
Selbstaufklärung zu überwinden, zumal parallel in unmittelbarer Nähe gegen
Angehörige der Wachmannschaften von Auschwitz verhandelt wurde. Direkt damit
verbunden, so eine Hauptthese der Autorin, sei dann auch die Wahrnehmung der Präsentationen
als Illustrierung des Prozesses („Gerichtsförmigkeit des Narrativs“). In
die Ausstellung über Auschwitz waren ursprünglich Fotos der Angeklagten auf
dem Weg zum Gerichtssaal sowie Auszüge aus der Anklageschrift eingebaut. Brink lässt Fotos,
Zeitungsberichte, Redemanuskripte sowie private und offizielle Korrespondenzen
in ihre Darstellung einfließen. Eine Vielzahl der Quellen, so z.B. behördliche
Briefwechsel, kehrt neben dem aufklärerischen Interesse in erster Linie außenpolitische
Erwägungen bei Organisation und Durchführung hervor. Es ging, so wird
deutlich, auch und vor allem darum, ein demokratisch geläutertes Bild der noch
jungen Bundesrepublik vorzuzeigen, während eine europa- und weltweite Öffentlichkeit
nach Frankfurt blickte. Cornelia Brink verweist deshalb auch mehrfach auf die
unterschiedlichsten Lesarten, die bei beiden Präsentationen möglich waren. Bei
der Eröffnungsrede zur Warschau-Ausstellung hatte beispielsweise der
Wehrbeauftragte der Bundesregierung Hellmuth Heye die „Männer des 20. Juli“
in die Nähe der Ghettokämpfer gerückt. Zurecht merkt Brink an, dass es heute
keine Möglichkeit mehr gibt die Effekte bei den BesucherInnen und Besuchern zu
ermitteln, doch es gelingt der Autorin darzustellen, dass allein die Tatsache, dass
die Ausstellungen gezeigt wurden, als Indiz für die erfolgreiche
„Vergangenheitsbewältigung“ gesehen wurden. Einschlägige Abläufe hinter
den Kulissen gelangten aber nur selten an die Öffentlichkeit und Kritik an der
Darstellung jüdischer Menschen, vorwiegend in der Rolle der Opfer, verfing
nicht. Obwohl es nicht mehr
leistbar ist, den Aufbau der Präsentationen lückenlos nachzuvollziehen,
gewinnt die Leserin oder der Leser durch Brinks Darstellung einen guten Eindruck
von der Atmosphäre. Es sind Fotos von Lutz Kleinhans und Klaus Meier-Ude auf
die Brinks Buch zentriert ist. Durch diese Fotos, auf denen Teile der
Ausstellung zu sehen sind, werden lineare Zeitabläufe dekonstruiert, denn die
60er und die 40er Jahre verschmelzen miteinander. BesucherInnen und Besucher
scheinen mit Opfern und Tätern im Gespräch vereint. Die Fotos von Kleinhans
und Meier-Ude stellen eine besondere Form von Erinnerungskultur dar, denn sie
ermöglichen Erinnerung an die „Kultur der Erinnerung“ in den 60er Jahren. Cornelia
Brink,
Mitarbeiterin der Kommission zur Begutachtung der „Wehrmachtsausstellung“,
stellt grundlegende Überlegungen zu Fotoausstellungen zum Nationalsozialismus
an. Deutlich treten dabei zwei Aspekte in den Vordergrund. Es gilt zum einen der
Frage nachzugehen, auf welche Weise bestimmte Teile oder auch nur einzelne
Bilder zu „Ikonen der Vernichtung“ wurden und, damit verbunden, welche
Wirkungen sie bei der Rezeption erzielten und noch immer erzielen. Gerade Fotos
aus dem Warschauer Ghetto sind klassische Beispiele. Eng damit verbunden ist die
Rezeptionsgeschichte. In der Regel entstanden derartige Fotos als
Dokumentationsmaterial im Täterkontext (z.B. „Stroop-Bericht). Sie wurden
dann nicht selten zu Beweismaterial in NS-Prozessen und gelten nun als Mahnung für
Menschlichkeit. Zusammenfassend kann gesagt
werden, dass, abgesehen von der Ausstellung zum Vernichtungskrieg der Wehrmacht,
über Fotoausstellungen zum Nationalsozialismus bisher noch sehr wenig geforscht
worden ist. Es gilt, herauszufinden welche Trägergruppen an Organisation und
Durchführung beteiligt waren, wie die Rahmenprogramme aussahen, worin die pädagogischen
Ziele bestanden, in welchen zeitgeschichtlichen Kontext die Präsentationen
eingeordnet werden können, welche Kontroversen stattfanden, wie viel
Besucherinnen und Besucher kamen und, wenn möglich, welche Wirkungen erreicht
wurden. Cornelia Brink kann zurecht als Vorreiterin auf diesem Gebiet gelten.
[Karsten
Wilke]
Cornelia Brink: Ikonen der Vernichtung. Öffentlicher Gebrauch von Fotografien aus nationalsozialistischen Konzentrationslagern nach 1945. Berlin 1998, Akademie Verlag. (Gebunden, 266 Seiten, 43 Abbildungen. Preis: 98,- DM) Die
Fotografien der amerikanischen und britischen Befreier, wie sie in Cornelia
Brinks Studie „Ikonen der Vernichtung,
Öffentlicher Gebrauch von Fotografien aus nationalsozialistischen
Konzentrationslagern nach 1945“ abgedruckt sind, zeigen Leichenberge und
ausgezehrte Körper. Es sind Fotos, die den Leserinnen und Lesern nicht
unbekannt sind, denn sie werden seit 1945 ununterbrochen präsentiert. Sie
begegnen uns heute in Schulbüchern, Fernsehdokumentationen und Ausstellungen.
Wie schon in der unmittelbaren Nachkriegszeit, sollen sie uns die Grausamkeit
der Täter (und Täterinnen!) vor Augen führen und Mitleid mit den Opfern
erzeugen. Es scheint, als sprächen diese Abbildungen des Schreckens für sich. Doch
grundsätzliche Reflexionen zum Themenkomplex „Fotografie“, wie z.B. in
Susan Sontags Essayband „Über
Fotografie“, München u. Wien 1978, verdeutlichen, dass Fotos in ihrer
vielschichtigen Funktion als Beweise, Zeugnisse oder Informationsquelle niemals
eindeutig interpretierbar sein können, denn entscheidend für die Rezeption ist
immer die Kontextualisierung durch den Betrachter oder die Betrachterin. Deshalb
konnten die Befreier das, was sie in den Konzentrationslagern sahen, auch
unmittelbar mit dem Schulddiskurs verknüpfen. Ihr vorgefertigtes Bild von
„den Deutschen“ bestätigte sich, während die deutsche Bevölkerung als
erstes dazu bewegt werden musste, die grauenvollen Bilder aus den Lagern als
Abbilder „der Wahrheit“ zu integrieren. Nicht selten, so die Autorin, habe
dieser Diskurs als Vermeidungsdiskurs zu den Fragen nach Schuld und
Verantwortung gedient. Aufbauend
auf diese Prämissen problematisiert Cornelia Brink den öffentlichen Gebrauch
von Fotos und Fotoensembles zu den Themen Holocaust und Konzentrationslager.
Brink untersucht die amerikanischen und britischen Fotografien, die unmittelbar
nach der Befreiung der deutschen KZ entstanden, sie beschäftigt sich mit den
Beweisfotos in den Nürnberger-Prozessen und im ersten Frankfurter
Auschwitz-Prozess, sie untersucht Gerhard Schoenberners berühmten Fotoband „Der gelbe Stern“ und sie hinterfragt den Gebrauch von
KZ-Fotografien in Gedenkstätten-Ausststellungen. In den Blick geraten somit die
40er/50er Jahre, die 60er Jahre und die 80er/90er Jahre, was nicht zuletzt
verdeutlicht, dass Zeitgeschichte wohl mehr den je als „Fotogeschichte“
verstanden werden muss. Cornelia
Brink leistet zweierlei: Sie erschließt zunächst einen neuen
Untersuchungsgegenstand, indem sie die bildliche Basis unseres historischen
Erinnerns untersucht – und möglicherweise sogar in Frage stellt. Zugleich
versteht sie es, die geschichtswissenschaftliche Perspektive auf ihren
Untersuchungsgegenstand gewinnbringend zu erweitern. Ohne Zweifel ist ihre
Arbeit eine historische - oder besser historiografische - Darstellung, doch es
gelingt der Autorin die Grenzen zu anderen Disziplinen partiell aufzulösen. Sie
benutzt ebenso kompetent wie anschaulich vielfältige Anregungen aus den
Bereichen Literaturwissenschaft, Kriminalistik, Pädagogik und
Religionswissenschaft, um zu verdeutlichen welche Narrative aus Plakaten oder
Broschüren (z.B.: „KZ-Bildbericht aus fünf Konzentrationslagern“) der
amerikanischen Besatzungsbehörden oder aus den Fotoausstellungen der 60er Jahre
extrahiert werden können. Als festes Moment lassen sich auffallend häufig Bezüge
zur christlichen Bildüberlieferung isolieren. Beispielsweise kann ein nackter
Mann mit Lendenschurz im Vordergrund einer überfüllten Baracke (S.77/Abb.15)
ohne Schwierigkeiten in den Kontext der Auferstehung Christi gestellt werden –
bzw., und das ist eine der Hauptthesen der Autorin, diese Kontextualisierung
geschieht – quasi automatisch - vor dem kulturellen Hintergrund. Brink
arbeitet vortrefflich heraus, dass, obwohl (und weil) unter dokumentarischem
Anspruch angefertigt, denn schließlich mussten auch die Befreier das, was sie
zu Gesicht bekamen für sich festhalten, die Fotografien über weite Strecken
typisierend sind. Die ehemaligen Häftlinge werden als „unschuldige Opfer“
(häufig sind Kinderleichen abgebildet, z.B. S.53/Abb.4) dargestellt, die
Soldaten und Behördenvertreter der Alliierten gelten als „Zeugen“ und die
ehemaligen SS-Leute werden in der Darstellung zu „Sadisten“ und
„Bestien“. Die deutschen Betrachterinnen und Betrachter werden als
„Angeklagte“ einbezogen, auch wenn explizite Zuweisungen nur sehr selten
sind (z.B. Abb. 12/13, S. 72f, Plakat: „Diese Schandtaten: Eure Schuld“).
Diese Typisierungen entstehen nicht selten unter Vernachlässigung von
historischer Genauigkeit. So fehlen nicht selten Orts- oder Zeitangaben, um aus
dem Wirkungszusammenhang der Abbildungen ein möglichst universelles Bild „des
Konzentrationslagers“ zu zeichnen. Derartige
Ungenauigkeiten und Verallgemeinerungen kommen bei der Untersuchung des
wirkungsmächtigen Fotobandes von Gerhard Schoenberner „Der
gelbe Stern“, der seit 1960 mehrfach aufgelegt wurde (zuletzt 1991 als
Taschenbuch), in großer Zahl zum Vorschein. Brink interpretiert die Veröffentlichung
als Verknüpfung des juridischen Diskurses Anfang der 60er Jahre mit dem pädagogischen
Diskurs, der zu dieser Zeit mehr und mehr einsetzte. Der Bildband richtete sich
dann auch explizit an Jugendliche. Besonders
hervorzuheben ist sicherlich die Tatsache, dass Schoenberner zu einem großen
Anteil Bilder, die von Tätern angefertigt wurden eingefügt hat, um das Leid
der Opfer zu illustrieren, mit dem Ziel, eine moralische Parteinahme zu
erwirken. Die Anordnung, da kann der Autorin gefolgt werden, erzeugt die Erzählstruktur
eines Dramas: „Von
einem Akt zum anderen steigert sich das Geschehen bis zum Höhepunkt, der
Massenvernichtung in den Gaskammern von Auschwitz, als quasi retardierendes
Moment folgt der Widerstand der Verfolgten im Warschauer Ghetto, bevor die
Befreiung der KZ-Insassen und die Bestrafung der Täter die Erlösung vom
Naziterror bringen.“ (S. 152) Um
die „dramatische“ Abfolge zu erzielen, ordnet Schoenberner die Aufnahmen
entgegen Chronologie der Ereignisse und nimmt zwangsläufig eine
Enthistorisierung der Ereignisse vor. Das ist problematisch, doch bisher in der
Forschung noch gar nicht zum Thema gemacht worden. „Ikonen der Vernichtung“ stellt Fotos als historische Quelle radikal in Frage. Konsequent wäre es demzufolge, wichtige Elemente unserer Erinnerungskultur ebenso radikal in Frage zu stellen. Fast alle Fotos in Gedenkstätten-Ausstellungen sind Täterfotos und selbst die Fotos der Alliierten zeigen die abgebildeten Menschen in dem Zustand, den die Nationalsozialisten ihnen zugedacht hatten. Außerdem ist das Wechselspiel zwischen Motiven und Betrachtenden in der Regel kompliziert und nur selten mit Gewissheit zu bestimmen. Cornelia Brink hat mit ihrer Studie Standards gesetzt und uns im wahrsten Sinne des Wortes vor Augen geführt, dass Zeitgeschichte als Geschichte durch Fotos und Geschichte von Fotos begriffen und untersucht werden muss. [Karsten Wilke]
Irene
Eckler: A
Family Torn Apart By »Rassenschande«.
Political persecution in the Third Reich. Dokuments and reports form Hamburg
in German and English, Schwetzingen 1998, Irene Eckler erzählt in ihrem Buch die Geschichte ihrer Familie. Diese Geschichte hängt untrennbar zusammen mit der Zeit des Nationalsozialismus, denn die Liebesverbindung ihrer Eltern galt nach den damaligen gesetzlichen Bestimmungen als »Rassenschande«. Sie handelt von Erniedrigung, Verfolgung und offenen Terror, aber auch von Menschlichkeit, Mut und Widerstand. Die Autorin, Jahrgang 1937, verbindet ihre Familiengeschichte mit wichtigen Aspekten der Geschichte des jüdischen Lebens in Hamburg. Irenes Mutter Irma Eckler stammte aus einer sephardischen Familie und galt trotz evangelischer Taufe als »Jüdin«. Sie lernte im Oktober 1934 den »arischen« Arbeiter August Landmesser kennen und lieben. Die »Rassengesetze« im nationalsozialistischen Deutschland verhinderten aber schon wenig später die Heirat. Die beiden Kinder Ingrid und Irene kamen folglich unehelich zur Welt. Schlimmer noch: die Verbindung der Eltern stand als »Rassenschande« unter Strafe. Doch Vater und Mutter waren trotz allen Drucks entschlossen, zusammen zu bleiben. Die Familie wurde wenig später gewaltsam auseinander gerissen. Die Mutter wurde ins Frauenkonzentrationslager Ravensbrück eingewiesen und wahrscheinlich später in der »Euthanasie-Anstalt« Bernburg ermordet. Der Vater erhielt eine hohe Zuchthausstrafe und kehrte nicht aus dem 2. Weltkrieg zurück. Die Schwestern wurden getrennt und unter Vormundschaft gestellt. Irene erlebte als Kind die zunehmenden Entrechtungen der Juden, sie entging um Haaresbreite ihrer Deportation und überlebte die alliierten Bombenangriffe. Die
Form der Darstellung fällt auf. Das Buch ist über 269 Seiten mit deutschem
und englischen Text zweisprachig gehalten. Das ist besonders deshalb
hervorzuheben, weil die Übersetzung von Jean McFarlane eine Vielzahl von
Dokumenten aus Nazideutschland unter großem Aufwand auch für das
internationale Publikum zugänglich macht - anders noch als in der 1996
erschienene ersten Auflage unter dem Titel „Die Vormundschaftsakte 1935 -
1958“. Gerade
diese Dokumente sind es, die die Struktur des Buches ausmachen und ihm
gleichzeitig seine Dynamik verleihen. Fotos, Urkunden, Briefe sowie
Zeitungsausschnitte bilden den roten Faden. Aus vielen dieser Dokumente
spricht der antisemitische und rassistische Geist, der in vielen deutschen
Amtsstuben geherrscht hat. Hier handelt es sich übrigens um einen Aspekt
der nationalsozialistischen Herrschaft, den unlängst die Münsteraner
Ausstellung »Verwaltung und Verfolgung« in der Villa Ten Hompel am
Beispiel der dortigen Stadtverwaltung hervorragend aufgearbeitet hat. Für
Ecklers Buch ist als Beispiel hervorzuheben, dass das Heiratsgesuch von
Irenes Eltern bereits vor dem Inkrafttreten der »Nürnberger Gesetze« vom
Standesamt in vorauseilendem Gehorsam abgelehnt wurde. Der
Ablauf des Buches stellt den Text immer mehr in den Hintergrund. Die
Dokumente beginnen zunehmend für sich zu sprechen. Das ist ein ungewöhnliches,
aber legitimes Verfahren, das aber hohe Anforderungen an Leserinnen und
Leser stellt, denn es verlangt große Aufmerksamkeit, den Überblick zu
wahren. Bestechend in Ecklers Buch sind die Fotos. Sie personalisieren,
regen die Phantasie an und hinterlassen einen nachhaltigen Eindruck. Abschließend
soll noch ein Gedanke auf den familiengeschichtlichen Ansatz zur Bearbeitung
des Nationalsozialismus verwendet werden. Familiengeschichte kann zu
bitteren Erkenntnissen über Angehörige der Eltern- und Großelterngeneration
führen und eindimensionale Einordnungen auflösen, denn alle könnten
zugleich Mitläufer, Täter und Opfer gewesen sein. Deshalb erfordert es
viel Mut und Kraft, die Geschichte der eigenen Familie aufzuarbeiten. Irene
Eckler hat Mut und Kraft bewiesen. Das Ergebnis ist trotz und wegen seiner
grausamen Wahrheiten ein großer Gewinn. [Karsten
Wilke]
Kurt Gerstein - Zeuge des Holocaust, Ein Leben zwischen Bibelkreisen und SS, Bielefeld 1999, Luther-Verlag, Paperback, 264 Seiten, Preis: 38,- DM Die Rolle des SS-Obersturmführers
Kurt Gerstein im Spannungsverhältnis zwischen Täterschaft und Widerstand
ist nach wie vor umstritten. Gerstein hat in französischer
Kriegsgefangenschaft seine Erinnerungen an das, was er in den
Vernichtungslagern Belzec und Treblinka gesehen hat, verschriftlicht. Diese
Aufzeichnungen sind schon kurz darauf als sogenannter Gerstein-Bericht
bekannt geworden. Einen weiteren Diskussionsbeitrag
zur historischen Bewertung Gersteins liefert nun Jürgen Schäfer, Jahrgang
1961. Er ist Theologe und seit 1994 Gemeindepfarrer in Hagen. Seine
Gerstein-Biographie erschienen in der Reihe „Beiträge zur Westfälischen
Kirchengeschichte“. Schäfer beginnt seine Studie mit
einem Längsschnitt durch die Debatte um Gerstein und dessen Aufzeichnungen.
Schon an dieser Stelle versucht der Autor sich einzubringen, indem er seine
Einschätzungen und Erkenntnisse vorweg nimmt. Das ist ungewöhnlich -
sollte die historische und möglicherweise auch politische Einordnung der
Resultate doch am Ende einer Darstellung erfolgen. Schäfer hingegen legt
sich früh auf Positionen fest. Die Tendenz der Darstellung wird schnell
klar. Es geht darum nachzuweisen, dass Kurt Gerstein trotz des Spannungsverhältnisses,
in dem er agierte, dem Widerstand gegen den Nationalsozialismus und dessen
Verbrechen zugeordnet werden
kann. Die Arbeit ist breit angelegt und
gründet auf einer außergewöhnlich dichten Quellenbasis. Schäfer hat für
seine Studie umfangreiches Material aus verschiedenen kirchlichen Archiven
und aus dem privaten Umfeld der Familie Gerstein erschlossen, insbesondere
interessante Schriftwechsel mit kirchlichen Stellen. Ein weiter Teil der Untersuchung
ist Gersteins Familie, seinem beruflichen Werdegang und seiner engen
Verbundenheit mit Bibelkreisen und kirchlicher Jugendarbeit gewidmet. Aus
seinem Engagement an der Basis der evangelischen Kirche resultieren
Gersteins ausgezeichnete Kontakte zu einflussreichen Würdenträgern. Der Autor erkennt schon zu
Gersteins Studienzeit dessen Distanz zur Weimarer Demokratie sowie dessen
zumindest latenten Antisemitismus. Kurz nach der Machtübernahme kann sogar
von deutlichen Affinitäten zum NS gesprochen werden. Schäfer weist in
einigen Schriften Gersteins Positionen nach, die sich in der Nähe völkischen
und spezifisch nationalsozialistischen Gedankengutes befinden. Deutlich
grenzt Gerstein sich und die protestantischen Bibelkreise aber von dem
Totalitätsanspruch der HJ ab, ohne letztendlich die „Gleichschaltung“
verhindern zu können. Wie viele andere auch entschließt er sich kurze Zeit
darauf zum Mitmachen. Der Autor skizziert eine diffuses Gemenge von Beweggründen:
Inhaltliche Affinitäten, die eine Symbiose von Christentum und Heidentum möglich
erscheinen lassen, Antikommunismus sowie Karrieregründe. Hervorgehoben wird
aber der Vorsatz, das System von innen heraus zu kritisieren. Gerstein hält
seine Verbindungen zu Kirchenfunktionären und Basisgruppen aufrecht und
findet Kontakt zu „Bekennenden Kirche“. Schnell kommt er in Konflikt mit
der Gestapo. Er wird zweimal verhaftet und aus der NSDAP ausgeschlossen. Aus dieser Situation der
unmittelbaren Bedrohung durch Behörden des nationalsozialistischen Staates
leitet Schäfer die Hauptthese seiner Untersuchung ab. Kurt Gerstein habe
angesichts der schwierigen Lage ein „bewusstes Doppelspiel“ angestrebt.
Es sei ihm darum gegangen, von sich das Bild eines überzeugten
Nationalsozialisten zu zeichnen, um sich Möglichkeiten zu verschaffen,
„Schlimmeres zu verhüten“. Gerstein verschaffte sich solche „Möglichkeiten“,
zunächst als Ausbilder in der Hitlerjugend, wenig später in der SS. Der Eintritt in die Waffen-SS, so
legt sich Schäfer bereits in der Einleitung fest, sei aus beruflichen Erwägungen
erfolgt. Diese Schlussfolgerung könne allerdings keineswegs Gersteins
Aussagen widerlegen, der nach dem Krieg behauptete, aus subversiver Absicht
zur SS gegangen zu sein, angeblich mit dem Ziel, Informationen über die
Euthanasiemorde zu sammeln. Spielräume für unangepasste, widerständige
Menschen habe es schließlich, so der Autor, nur sehr wenige gegeben. Nicht
hinterfragt wird leider, weshalb ein unangepasster
und widerständiger Mensch eine Karriere am Hygiene-Institut der
Waffen-SS bauen konnte, sich dabei offensichtlich bei der Entwicklung von Tötungstechnologie
profilierte und letztendlich mit Spezialaufträgen im Rahmen der
Judenvernichtung versehen wurde. Ausführlich hingegen schildert Schäfer
Gersteins Kontakte zu ausländischen Diplomaten und kirchlichen
Honoratioren, sowie offensichtliche Sabotageaktionen. Z.B. gelang es
Gerstein wahrscheinlich eine beträchtliche Menge von Giftgas verschwinden
zu lassen. Die Gewichtung ist überdeutlich.
Dieser Eindruck verstärkt sich noch, da Unklarheiten zu einfach ausgeräumt
werden. Außerdem werden problematische Schlussfolgerungen gezogen. So
spreche die fehlerhafte Wiedergabe von Namen beispielsweise dafür, dass
Gerstein entgegen anderslautenden Thesen, tatsächlich nur einmal im Lager
Belzec gewesen sein könne. Jürgen Schäfer ist sichtlich bemüht,
Gerstein in den Bereich des Widerstandes gegen den Nationalsozialismus
einzuordnen. Letztendlich geht er sogar so weit, zu wünschen, dass Gersteins Aktivitäten entdeckt worden wären. Nach dessen Hinrichtung wäre
schließlich die subversive Rolle Gersteins der Nachwelt deutlicher bewusst
geworden, so Schäfer. „Sein Tod durch das Regime hätte sein Leben eindeutiger erscheinen
lassen, er wäre wie einer der anderen Widerstandskämpfer gewesen, die
ihren Widerstand gegen das Regime mit ihrem Leben bezahlen mussten“. (S. 190) Der Autor erkennt nicht, dass Uneindeutigkeit wahrscheinlich ein wichtiges Strukturmerkmal für breite Kreise des Widerstands im Dritten Reich ist. Denn es ist gerade diese Uneindeutigkeit, die es herauszustellen und aufzuarbeiten gilt. Jürgen Schäfer versucht das und liefert sehr gute Ansätze, gerade in der Recherche. Letztendlich ist es aber eine unübersehbare Voreingenommenheit gegenüber dem Untersuchungsgegenstand, die einen leicht bitteren Beigeschmack hinterlässt. Vielleicht hätte der Versuch unternommen werden sollen, mit Martin Broszats Resistenz-Begriff zu operieren, denn vermutlich kann es nicht gelingen Saul Friedländers These, der bereits 1967 in seiner Gerstein-Biographie von der „Zwiespältigkeit des Guten“ ausging, eindeutig aufzulösen. [Karsten Wilke]
Michael H. Kater: Das „Ahnenerbe“ der SS 1933 bis 1945 - Ein Beitrag zur Kulturpolitik des Dritten Reiches, Studien zur Zeitgeschichte, Bd. 6, München 2001, 3. Aufl. (1974), Oldenbourg Verlag, Paperback, 529 Seiten, Preis: DM 126,74 / € 64,80 Grabe, wo die SS-Standarte steht! Am 1. Juli 1953 gründete Heinrich Himmler in
Zusammenarbeit mit dem Privatgelehrten Hermann Wirth die „Studiengesellschaft
für Geistesurgeschichte, Deutsches Ahnenerbe“. Wie alle kulturpolitischen
Vereinigungen des Dritten Reiches, durchlief auch das „Ahnenerbe“ einen
komplizierten und widersprüchlichen Entwicklungsprozess als Konsequenz aus
Ämterchaos und gegenläufigen Interessen. Es gelingt Michael Kater ganz
ausgezeichnet, diesen Kompetenzendschungel zu entflechten. Die beteiligten Akteure verbanden mit ihrer Institution den Anspruch, das „Ahnenerbe“ zur einzigen und zentralen nationalsozialistischen Forschungs- und Lehrvereinigung zu erweitern, deren zutiefst politischer Charakter nicht zuletzt aus den präferierten wissenschaftlichen Disziplinen deutlich wird. Trotzdem muss anerkannt werden, dass neben politischer Zweckforschung auch Räume für relativ unabhängige Wissenschaft eröffnet wurden. Seit dem Erscheinen von Katers Arbeit im Jahre 1974 ist das „Ahnenerbe“ in der Forschung nicht mehr bearbeitet worden. Das ist sicherlich der Tatsache geschuldet, dass die Kulturpolitik des „Dritten Reiches“ lange Zeit nicht im Zentrum der Forschung stand, spricht zugleich aber für Gründlichkeit und Qualität, und ganz eindeutig ist der vorliegende Band noch immer das Standardwerk zum Thema. Katers Studie besticht durch Facettenreichtum und durch die Erschließung einer unvergleichlich breiten und zum großen Teil exklusiven Quellenbasis, wie z.B. Sonderdrucke. Die Urteile sind über weite Strecken betont distanziert und vorsichtig gehalten, was besonders dann angebracht ist, wenn Nachkriegsaussagen der Akteure in die Darstellung einfließen. Leider fehlt selbst im Nachwort der Neuauflage eine geschlechtspezifische Fragestellung, denn von ziemlich genau 300 Mitgliedern des „Ahnenerbe“ waren ein Drittel Frauen, deren Wirken in der Untersuchung keine Resonanz findet. Eine
Bedeutende Zäsur in der Geschichte des „Ahnenerbe“ ist der Wechsel an
der Spitze. Begeisterte Himmler sich zunächst für den extravaganten Wirth
und dessen absurde Theorien, musste der Reichsführer doch schon bald
einsehen, dass eine Vereinigung mit einem derartigen Repräsentanten weder
dazu geeignet sein konnte, auf wissenschaftlichem Terrain Standards zu
formulieren noch dazu beitrug sich gegen die kulturpolitischen Ansprüche
seines Gegners Rosenberg zu behaupten - übrigens ein Konfliktfeld, das
wenige Jahre vor der Erstveröffentlichung von Katers „Ahnenerbe“
bereits von Reinhard Bollmus (Das Amt
Rosenberg und seine Gegner, Stuttgart 1970) beleuchtet wurde. Die Lektüre
empfiehlt sich dann auch als analytisches Pendant. Bis
zu Beginn des Zweiten Weltkrieges erhielt das „Ahnenerbe“ mit Wolfram
Sievers (Geschäftsführer), einem „SS-Technokraten“, und Walther Wüst
(Kurator), einem anerkannten Indogermanisten, auch eine neue Führung. Dabei
überzeugt insbesondere Katers Beurteilung der Rolle Wüsts durch
Ausgewogenheit. Neben
Vor- und Frühgeschichtsforschung, Runen-, Sinnbild- und Wappenforschung,
Linguistik, Höhlenforschung, Mineralogie oder Meteorologie waren zunächst
insbesondere Ausgrabungen das zentrale Betätigungsfeld der
Ahnenerbe-Forscher. Im
Umfeld jeder stationierten SS-Standarte, so eine bezeugte Äußerung
Himmlers aus dem Jahre 1936, solle mindestens eine germanische Ausgrabung
durchgeführt werden. Die Ausgrabungsstätten galten im Sinne Himmlers als
„kulturelle Mittelpunkte deutscher Größe und deutscher Vergangenheit“.
Sie sollten den Zeitgenossen die örtliche und geistige Nähe zu den Ahnen
im wahrsten Sinne „vergegenwärtigen“. Das Beispiel der Ausgrabungen
verdeutlicht, daß kein Wissenschaftszweig sich in diesem Rahmen gänzlich
von ideologischen Vorgaben emanzipieren konnte. Obwohl die
Ahnenerbe-Forschung gerade im Bereich der Archäologie bedeutende Ergebnisse
erzielen konnte, führten Ausgrabungen an den Vorzeigestellen Externsteine
oder Verden alle fachlichen
Standards ins Absurde. So zum Beispiel auch in Quedlinburg, wo der Forscher
Rolf Höhne die Gebeine Heinrichs I. entdeckt haben wollte, sich aber über
den genauen Fundort so lange ausschwieg, bis er zugeben musste, dass seine
Behauptung nicht haltbar sei. Eine
Parallele zur Alltagsgeschichte der 70er Jahre und 80er Jahre drängt sich
an dieser Stelle geradezu auf. Alltagsgeschichte, als Produkt der zeitgemäßen
sozialen Bewegungen interpretiert, lässt sich mit Sven Lindqvists Motto „Grabe
wo du stehst“ aus dem Jahre 1978 beschreiben. Im übertragenen Sinne
sollte, ganz ähnlich wie das Ahnenerbe es betrieb, Geschichtsbewusstsein aus den Überresten der Vergangenheit geschaffen werden, das freilich im
Gegensatz dazu reflexiv und emanzipatorisch gedacht war. Doch auch das
kritische Geschichtsbewusstsein der Alltagsgeschichte stellte kollektive
Identitäten her und bezog sich dabei unter dem Ansatz der Lokalgeschichte
auf den angestammten, unmittelbaren Lebensraum. Sicherlich hätte dieser
Gedankengang aus der Retrospektive im Nachwort von 1997 aufgegriffen werden
müssen, denn die prinzipielle Ähnlichkeit drängt sich unübersehbar auf. Mit
Sievers und Wüst an der Spitze veränderte sich zu Beginn des Krieges die
inhaltliche Ausrichtung der Forschungen. Innerhalb des „Ahnenerbe“ wurde
das Institut für Wehrwissenschaftliche Zweckforschung eingerichtet. Zu
trauriger Berühmtheit gelangten dabei die Kälte- und Unterdruckversuche,
die der SS-Arzt Sigmund Rascher im Konzentrationslager Dachau in Kooperation
mit der Luftwaffe an Häftlingen durchführte. Es waren dann auch diese
Menschenversuche, für die der „Ahnenerbe“-Geschäftsführer Sievers zum
Tode verurteilt wurde. Kater bringt bei der Darstellung der
Wehrwissenschaftlichen Zweckforschung und deren Umfeld weniger Distanz auf.
Das ist angesichts der schrecklichen Wahrheiten auch legitim, doch während
der Autor sich Raschers „Forschungen“ noch behutsam annähert und viele
wichtige Aspekte präzise darstellt, versteigt er sich zu ausgiebigen, aber
deplazierten Spekulationen über dessen Familie. Ein
weiteres wichtiges Betätigungsfeld des „Ahnenerbes“ stellte während
des Krieges auch der „Germanische Wissenschaftseinsatz“ dar. Geleitet
wurde er von Dr. Hans Schneider, dessen Hochschulkarriere nach 1945 unter
dem Pseudonym „Hans Schwerte“ vor einigen Jahren für großes Aufsehen
sorgte und grundlegende Fragen zur bundesrepublikanischen
Nachkriegsgeschichte aufkommen und bisher weitestgehend unbeantwortet ließ.
Im Rahmen des „Germanischen Wissenschaftseinsatzes“ war die „Wiederbelebung
des germanischen Volks- und Kulturbewusstseins“ beabsichtigt - ohne, dass jemals bestimmt wurde, was genau darunter zu verstehen ist.
Nationalsozialistische, deutschfreundliche oder aus anderen Gründen
kollaborationswillige Wissenschaftler aus den besetzten westlichen Ländern
sollten zur Mitarbeit bewegt werden – allerdings im Verhältnis zu den
formulierten Zielen und dem organisatorischen Aufwand mit geringem Erfolg.
Die Frage, inwieweit der „Germanische Wissenschaftseinsatz“ als
propagandistisches Unternehmen gedacht war oder gewirkt hat, hätte hier
trotzdem gestellt werden müssen. Die
Forschungs- und Lehrgemeinschaft „Ahnenerbe“ bot Himmler im Gegensatz
zum ausdifferenzierten Hochschulwesen die Möglichkeit, eine Synthese von
Geistes- und Naturwissenschaften zumindest anzustreben, doch ernsthafte Ansätze
sind in dieser Hinsicht nicht zu verzeichnen. Statt dessen weiteten sich die
Betätigungsfelder thematisch aus. Exemplarisch hierfür stehen die
medizinischen Experimente in den Konzentrationslagern oder der Zugriff auf
wissenschaftliche Einrichtungen in besetzten Ländern. „Ahnenerbe“-Delegationen
beteiligten sich hier nachweislich an Plünderungen. Wichtige
Prestigeobjekte, wie z.B. eine geplante Kaukasusexpedition unter Leitung des
renommierten Tibet-Forschers Ernst Schäfer kamen im Gegensatz dazu nicht über
das Planungsstadium hinaus. Aus
Katers vorzüglicher Studie wird ersichtlich, dass das Projekt
„Ahnenerbe“ der SS vor dem Hintergrund von polykratischen
Herrschaftsstrukturen im Dritten Reich gesehen werden muss. Gleichzeitig
steht auch die Frage nach dem Verhältnis von Wissenschaft und Politik im
Zentrum. Beide Aspekte erzeugten recht schnell eine Tendenz zur
Versachlichung der Forschungstätigkeit. Sie spiegelt sich exemplarisch
darin, daß der mystisch beeinflusste völkische Denker Hermann Wirth von
seiner leitenden Funktion entbunden und durch das wissenschaftlich und
organisatorisch kompetente Duo Wüst/Sievers ersetzt wurde, das eine
konsequente Politik gegen Anhänger Rosenbergs und Darrés inner- und außerhalb
der Organisation betrieb. Dass diese Versachlichung aber keinesfalls mit „Entideologisierung“
zu verwechseln ist, wird ebenso deutlich wie der expansive Charakter des
„Ahnenerbes“, insbesondere während des Krieges.
Lauckner, Nancy A.; Jokiniemi, Miriam (Hg.): Shedding Light on the Darkness: A Guide to Teaching the Holocaust. New York & Oxford 2000, Berghahn Books. [224 Seiten, Bibliografie, Index. $ 39.95/£ 25.00, ISBN 1-57181-203-3. Zu beziehen bei Berghahnbooks] Bei dem vorliegenden Sammelband handelt es sich um die Realisierung eines 1996 begonnenen Projekts, mit dem die Herausgeber und die Autoren auf den Mangel an pädagogischem Material zum Thema Holocaust in der nordamerikanischen Germanistik und den German Studies reagieren wollten. Sechzehn hochrangige us-amerikanische und kanadische Germanisten und Lehrende der German Studies beschreiben in ihren Beiträgen, wie und womit sie sich mit ihren StudentInnen diesem unbehaglichen und hochkomplexen Thema annähern, mit welchen Schwierigkeiten sie sich konfrontiert sehen und - vor allem - was sie sich von einer Auseinandersetzung mit diesem Abschnitt der deutschen Geschichte versprechen. Das Buch erschien in der Reihe Modern German Studies und ist in zwei Teile untergliedert. Der erste Teil des Buches umfasst zwölf Berichte über Seminare, in denen der Holocaust das zentrale Thema des ganzen Semesters darstellt, im zweiten Teil beschreiben vier weitere Autoren Seminare, in denen diese Thematik nur einer von mehreren Aspekten der deutschen (Literatur-)Geschichte ist. Die sechzehn einzelnen Beiträgen sind durchaus heterogen und lassen verschiedene Ansätze, Ausgangsbedingungen, didaktische Praktiken und auch Zielsetzungen erkennen, allen Lehrenden gemeinsam ist aber, dass sie sich - auch aus persönlichen Gründen - sehr eingehend mit der Thematik auseinandergesetzt haben und sie Fülle wie Facettenreichtum des Stoffs zu keiner Zeit aus den Augen verlieren. Konsequent bemerkbar macht sich zudem die weit fortgeschrittene Interdisziplinarität der nordamerikanischen German Studies, die beim Thema Holocaust nicht selten engstens mit den Holocaust Studies, den Jewish Studies oder auch Literatur- oder Filmstudiengängen zusammenarbeiten. Den Unterrichtsbeschreibungen zufolge ist so z.B. die Behandlung der Holocaust-Thematik anhand literarischer Werke Standard. Historische Daten und Zusammenhänge, religiöse oder kulturelle Grundlagen werden zum Verständnis des jeweiligen literarischen Werks generell vorangestellt oder mitgeliefert, stehen aber nicht im Mittelpunkt der Betrachtung. Zentral ist die Geschichte eines Einzelnen, vermittelbar durch alle literarischen Genres oder durch Filme. Die Wichtigkeit der Kenntnis historischer Zusammenhänge wird keineswegs unterschätzt, entscheidend aber erscheint allen Beitragenden das Sichtbarmachen des Einflusses und der Folgen, die Geschichte auf individuelle Lebensgeschichten haben kann. In diesem Zusammenhang fällt auch auf, dass viele der Lehrenden um eine multiperspektivische Darstellung des Geschehens bemüht sind, und neben den Leiden der Opfer auch Geschichten und Motive von Tätern, Mitläufern und Zuschauern aufzeigen - was unerlässlich ist, wenn man ihrer Dämonisierung entgegenwirken und ihre (Un-)Taten bzw. Untätigkeit mit den damit verbundenen Ambivalenzen begreifbar machen will. Damit und mit der Einbettung des Themas Holocaust in den Komplex <Vorurteile und Feindbilder, Diskriminierung von Minderheiten, demokratische Werte> folgen die Autoren dem Ansatz der `Holocaust Education´, einer in Nordamerika seit Anfang der 1980er Jahre stetig an Bedeutung zunehmenden Disziplin, die sich mit den „Lehren“, die aus dem Völkermord an den europäischen Juden zu ziehen sind, auseinandersetzt. Die Autoren der einzelnen Beiträgen sind offenbar bestens vertraut mit den „Vorgaben“ der Holocaust Curricula, denn auch weitere Inhalte, die gemäß der Lehrmeinung der `Holocaust Education´ zur Umsetzung des Ideals „Lernen aus der Geschichte“ in jeden Unterricht über die Shoah gehören (die Betrachtung der jüdischen Geschichte und der Geschichte des Antijudaismus/Antisemitismus, die Aufzeichnung der Kette der Verfolgung von der Definition bis zur Vernichtung, die Darstellung der Entscheidungsspielräume des Einzelnen in bestimmten Situationen etc.) werden von vielen der Autoren fachmännisch integriert und ausführlich diskutiert. Wie ein roter Faden zieht sich durch die einzelnen Darstellungen der Didaktik und des Lernziels die – für Nordamerika scheinbar ganz selbstverständliche – Feststellung der „pädagogischen Verantwortung“ die „wir Germanisten“ laut Hoelzel haben. Hoelzel hatte in seinem 1978 erschienenen Aufsatz dazu aufgerufen, sich mit den den Geschichten hinter der Geschichte auseinander zu setzen und die mit dem Holocaust verbundenen moralischen Implikationen im Korpus der deutschsprachigen Nachkriegsliteratur zu suchen. Alle Beitragenden des Bandes kommen dieser Aufforderung nicht nur nach, sie bedienen sich des Angebots an Literatur mit Kennerblick und bieten ihren Studierenden in dieser Weise einen hochqualifizierten und mit einem enormen Anspruch versehenen Unterricht. Das Lamento um fehlendes Lehrmaterial - ursprünglich die Begründung für die Publikation - löst sich freilich in Nichts auf, denn gerade in diesen 16 Erfahrungsberichten wird deutlich, dass für eine Auseinandersetzung, die der Brisanz der Thematik gewachsen ist und ihrer Sensibilität adäquat entgegnet, nicht etwa die Unterrichtsmittel, sondern erstens die Bereitschaft des Lehrenden und zweitens das Interesse der Lernenden entscheidend sind. Beides, die Bereitschaft der Lehrenden wie das Interesse der Lernenden, wird in dem Sammelband vor einem „typisch“ nordamerikanischen Hintergrund verhandelt. Einige der beitragenden Lehrenden sind Juden, zwei sogar Überlebende des Holocaust. Einige der Studierenden in den beschriebenen Kursen bezeichnen sich als „deutschstämmig“ und stehen der Thematik ambivalent gegenüber. Das sind Besonderheiten, die sich nicht auf die Unterrichtsvoraussetzungen und -bedingungen in anderen Ländern übertragen lassen. Der entscheidendste Unterschied zum „herkömmlichen“ DaF-Unterricht oder zur Auslandsgermanistik in anderen Gegenden der Welt ist jedoch die Unterrichtssprache: in der überwiegenden Zahl Englisch. Die Übertragbarkeit der vorgestellten Seminarmodelle auf den DaF-Unterricht erfährt hier – bei normalbegabten Deutschlernenden – eine starke Einschränkung. Während in den englischsprachigen Universitätskursen nicht selten über zehn (übersetzte) literarische Werke, Zusatzmaterialien und dazu noch die eine oder andere Verfilmung behandelt und untersucht werden, ist das Vielfache an Zeit, das man für dasselbe Pensum in DaF-Kursen aufbringen müsste, wohl niemandem mehr zumutbar. Hinweise
auf Möglichkeiten, das Thema Holocaust zu behandeln, liefert das Buch
insgesamt genügend, bezüglich der Umsetzbarkeit in die DaF-Praxis sind
sicherlich die Beschreibungen der wenigen auf Deutsch unterrichteten Kurse
oder auch die Beiträge im zweiten Teil des Buches brauchbarer. Den Autoren
des Bandes ist nicht nur ein lehrreicher Überblick über die verschiedenen
Wege „Licht ins Dunkle zu bringen“ gelungen, das Band besticht auch
durch die Gründlichkeit der Analyse von Erwartungen und Erfahrungen, aber
auch von Problemen und Widerständen. Nicht zuletzt verdeutlicht es, dass
aus den nordamerikanischen German Studies zwar ebenso wenig Lehrmaterial zu
den Themen Nationalsozialismus und Holocaust hervorgeht wie aus den
DaF-Zweigen im deutschsprachigen Raum, die fachspezifischen Diskussionen um
die didaktische Annäherung und um das Lernziel jedoch weit elaborierter und
fruchtbarer sind - zumal sie stattfinden. [Silke
Ghobeyshi]
Helga
Weissová:
Zeichne, was Du siehst.
Zeichnungen eines Kindes aus Theresienstadt/Terezín,
Wallstein Verlag, Göttingen
1998, Paperback Die
tschechische Malerin Helga Weissová war im Winter 1941 als junges Mädchen
mit ihrer Familie in das „ghettoähnliche Lager“ (aus: Enzyklopädie des
Holocaust) Theresienstadt deportiert worden. Dort war es der Vater, der ihr
die Worte sagte, die ihr Leben wohl bis heute prägen: „Zeichne, was Du
siehst!“ Helga Weissová begann zu zeichnen. Sie zeichnete Theresienstadt,
Auschwitz, Selektionen, Selbstmorde, den Todesmarsch, Mauthausen - Stationen
einer Heranwachsenden im nationalsozialistischen Lagerkosmos. Der
„Niedersächsischen Verein zur Förderung von Theresienstadt/Terezín
e.V.“ veröffentlichte 1998 in Zusammenarbeit mit dem Wallstein-Verlag den
vorliegenden Bildband. Begleitende Texte stammen u.a. von der Künstlerin
selbst, von Felix Brunner, Stephan Dolezel, Heidrun Charlotte Kowollik,
Bernd Wiegand und Rudolf M. Wlaschek. Der Band enthält insgesamt 63
Zeichnungen Weissovás. Diese Zeichnungen zeigen die erwachsene Welt des
Schreckens aus den Augen eines Kindes. Im Zentrum stehen dabei nicht die
deutschen SS-Leute oder die tschechischen Gendarmen, sondern die Menschen,
die trotz Schmutz, Enge und permanenter Angst vor dem nächsten Transport
versuchen ihre Würde zu wahren und zu überleben. Es sind dann auch die
Details, die immer wieder ins Auge springen. Judensterne und Nummern auf der
Kleidung, deutsche Schrift, gesenkte Köpfe, Gesichter ohne Lächeln - bei
Weissová durchgängige Motive, die erkennen lassen, in welche Rolle
Menschen von Menschen gedrängt werden können. Quasi antithetisch zur
Realität des Lageralltags zeichnete die junge Künstlerin ihre Träume.
Helle Farben, Überfluss an Nahrung, Wandern in der Natur sind Ausdruck von
Sehnsüchten - wohl auch von Hoffnung. Doch auch das Schlaraffenland (Bild
41) ist durchdrungen von dem, was die Nationalsozialisten den sogenannten
„Untermenschen“ zugedacht hatten - auch hier Judensterne und
ausdruckslose Gesichter. Die
Kunst von Helga Weissová ist vielseitig und ausdrucksstark. So fertigte sie
naive Zeichnungen, die mitunter ins Groteske abgleiten (z.B. Bild 24 - auf
dem eine Frau auf der Toilette unter großer Anstrengung versucht, die Tür
von innen zuzuhalten, während sie das wenige Toilettenpapier zwischen den Zähnen
festhält), aber auch beinahe abstrakte Werke, die den Tod darstellen
(insbesondere die Bilder 59, 61, 62). Die
Anordnung der Bilder ist entgegen der Entstehungschronologie darauf
ausgerichtet Weissovás „Lagerkarriere“ nachzuvollziehen. Noch vor der
Deportation steht die Erfassung. Alle Menschen müssen ihre Habseligkeiten
verzeichnen lassen. Es folgt die Ankunft im Lager, das erste Quartier, der
Alltag, die Verlegung nach Auschwitz, der Todesmarsch und die Ankunft in
Mauthausen. Die Befreiung findet in Weissovás Bildern nicht statt. Der Tod
ist die letzte Station. Im
Anhang wird die vorliegende Auswahl aus Weissovás Werk durch eine sehr kurz
gehaltene Zusammenfassung über Kinder in Theresienstadt abgerundet. Zudem
werden in kurzen Portraits der 16 wichtigsten Zeichnungen wesentliche
Informationen über Entstehungshintergründe nachgeliefert. Das ist
besonders deshalb sehr hilfreich, weil die Autorin und die Autoren bewusst
darauf verzichten eindeutige Interpretationen vorzugeben, die vermutlich
schon deshalb nicht immer möglich sein werden, weil die junge Malerin nicht
nur Betroffene und Opfer war, sondern sich auch als Beobachterin verstand.
Der
Bildband „Zeichne, was Du siehst“ dürfte sich in der pädagogischen
Arbeit - gerade auch im Schulunterricht - hervorragend dazu eignen, eine
interdisziplinäre Annäherung an das Thema Holocaust zu ermöglichen. Helga
Weissowás Zeichnungen können im Kunst-, Geschichts- und Deutschunterricht
behandelt werden. Es ist leicht möglich, historische, kunstgeschichtliche
und psychologische Annäherungen zu finden. Besonders hervorzuheben ist
dabei, dass der Bildband dreisprachig (deutsch, tschechisch, englisch)
begleitet wird und somit auch wesentlich dazu beitragen kann, den Blick auf
die Geschichte des Holocaust zu internationalisieren - so z.B. im Rahmen von
deutsch-tschechischen Jugendprojekten.
[Karsten
Wilke] Hinweis:
Im Wallstein-Verlag ist auch
das Video „Bilder aus
Theresienstadt/Terezin“ von Stephan Dolezel erhältlich. (Siehe: Rubrik
Filmbesprechungen) |
„Bilder aus
Theresienstadt/Terezin“, Wallstein Verlag 1999.
Ein Film von Stephan Dolezel,
hergestellt vom Institut für den Wissenschaftlichen Film, Göttingen.
Dauer: 25 Minuten;
Preis: DM 38,-
Der
„Niedersächsische Verein zur Förderung von Theresienstadt/Terezin
e.V.“ hat in Zusammenarbeit mit dem Wallstein-Verlag das Video „Bilder
aus Theresienstadt/Terezin“ veröffentlicht. Im
Zentrum des Filmes steht die tschechische Malerin Helga Weissová sowie
deren Kinderzeichnungen. Weissová war zusammen mit ihren Eltern nach
Theresienstadt deportiert worden. Dort begann sie zu zeichnen, und sie schuf
schon als Kind ein durch Umfang und Tiefe beeindruckendes künstlerisches
Werk. Der
Regisseur Stephan Dolezel begleitet die Zeitzeuginnen Helga Weissová und
Dagmar Liplová bei einem Rundgang durch das heutige Theresienstadt. Er
zeigt Frau Weissová an wichtigen Stationen ihrer Jugendzeit, wie z.B. dem
Zimmer, in dem sie in furchtbarer Enge wohnen musste oder auf den Wegen, die
sie während ihrer Gefangenschaft gegangen war. Dolezel zeigt Weissová und
Liplová aber auch im Gespräch mit Jugendlichen oder in Interviewsequenzen.
Die Zeitzeuginnen selbst werden als Scharnier zwischen Vergangenheit und
Gegenwart inszeniert. Deshalb ist dieser Film wichtig, denn es sind
Menschen, die die Zeit des Nationalsozialismus und den Holocaust vergegenwärtigen.
Doch
darin liegt nicht die Originalität. Wirklich innovativ ist Dolezels
komplexe Medienkomposition, die Helga Weissovás künstlerisches Werk als
Matrix verwendet. Die Kinderzeichnungen, die den Lageralltag spiegeln,
werden zwar in den meisten Fällen durch Aufnahmen vom heutigen
Theresienstadt oder durch Einblenden von historischen Fotos in einen
eindeutigen Bezugsrahmen auf bestimmte Orte, Gegenstände oder Personen
gestellt, doch eine Spur interpretatorischer Freiheit bleibt immer zurück.
Genau diese interpretatorische Freiheit ist es, die eine Chance bietet die
Phänomene nationalsozialistische Verfolgung und Holocaust zu
universalisieren und somit zeitlos zu machen, jedoch zu keinem Zeitpunkt
dazu verleitet, sich in Abschweifungen oder Relativierungen zu verlieren.
Dazu ist die Beschreibung dann doch zu dicht. Es bietet sich jedoch die Möglichkeit,
den historischen Zugang zu Weissovás Zeichnungen um einen pädagogischen
Ansatz, den Dolezel vielleicht etwas zu wenig betont, zu erweitern. Was
bedeutet es für Menschen, gerade für Jugendliche in der Pubertät, nicht
einmal auf der Toilette unbeobachtet zu sein? Wie viel Leid können
Freundschaften auffangen? Wie viel Solidarität kann ich aufbringen? Woran
orientiere ich mich? Dolezels
Film gibt einen wichtigen Hinweis darüber, woraus Menschen, die der
nationalsozialistischen Verfolgung ausgesetzt waren, ihre Kraft zum Überleben
ziehen konnten, indem er ein charakteristisches Strukturmerkmal der Theresienstädter
„Zwangsgemeinschaft“ (H. G. Adler) herausarbeitet. Den Lagerinsassen
gelang es, ein einzigartiges kulturelles Leben aufzubauen und zu etablieren.
Die Menschen ermöglichten sich das Ausüben der jüdischen Religion sowie
Musik- und Theaterveranstaltungen. In Theresienstadt wurden sogar mehrere
Opern geschrieben und aufgeführt, so z.B. die Kinderoper „Brundibar“,
an der Dagmar Liblová, wie sie berichtet, als Jugendliche mitgewirkt hatte. Zu
bemängeln ist, dass der Regisseur die Funktion, die das kulturelle Schaffen
in Theresienstadt für die SS hatte, zu wenig betont. Die „Verschönerungen“
vor Inspektionen des Internationalen Roten Kreuzes werden zwar erwähnt.
Doch dass zumindest der letzte Kommandant Karl Rahm (ab Februar 1944) im
Rahmen einer großangelegten propagandistischen Kampagne tatsächlich das
Konzept verfolgte, Theresienstadt in ein „Musterlager“ umzuwandeln, wird
nicht thematisiert, bzw. durch das Festhalten an der Opferperspektive
umgangen. Erklärbar ist das vielleicht dadurch, dass Dolezel befürchtete,
in die Nähe der Relativierung der Opfersituation zu gelangen - übrigens
eine unbegründete Befürchtung. Es
gelingt Dolezel in seinem Film „Bilder aus Theresienstadt/Terezin“ die
Erinnerung an das Leid der vielen Opfer wach zu halten und - sicherlich
genauso wichtig - die zeitliche Distanz von nunmehr 55 Jahren durch
Personalisierungen, gekonnten Einsatz der Kamera, durch Fotografien,
Zeichnungen und Interviews aufzulösen. Daraus ergibt sich zwangsläufig die
appellative Konsequenz: Wir dürfen nicht vergessen! Dolezel hat der
tschechischen Malerin Helga Weissová und ihrem Werk ein Denkmal gesetzt.
Das ist vor dem Hintergrund wichtig, dass die letzte Generation von
Zeitzeuginnen und Zeitzeugen innerhalb der nächsten Jahre aussterben wird. [Karsten
Wilke] Hinweis: Im Wallstein-Verlag ist folgendes Buch erschienen: Helga Weissová, Zeichne, was Du siehst, Zeichnungen eines Kindes aus Theresienstadt/Terezin, Göttingen 1998 [hier rezensiert]. |