Antisemitismus? (2001)
Februar 2001 - Antisemitismus?
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Auf dem Titelblatt
der Ausgabe der »Wirtschaftswoche«
Nr. 7/2001 vom 8. Februar 2001 finden Sie die links wiedergegebene Grafik. Und irgendwie erinnerte
sie uns
an mindestens ein älteres Bild (das noch nicht gefunden ist, Hinweise werden
weiterhin dankbar entgegen genommen unter
info@fasena.de). Bestimmte Bildelemente
(etwa die Form der Nase, der Lippen und Augen) erinnerten uns an
antisemitische Bilder der Vergangenheit.
Da man sich manchmal selber überprüfen möchte, um sich nicht etwa dem Vorwurf der berufsbedingten verengten Perspektive oder der Hypersensibilität auszusetzen, haben wir die Grafik über unseren Verteiler mit folgender Bitte herumgeschickt: »Schauen Sie sich die beigefügte Grafik an und beschreiben Sie uns ihre Botschaft in knappen Worten. Wenn Sie eine ähnliche Grafik kennen, wären wir Ihnen für die Übersendung sehr dankbar - denn uns kam's wie ein Déjà-vu vor. Allen, die uns antworten, wollen wir natürlich die Hintergründe dieses Fundes und etwaiger weiterer Funde demnächst genauer erklären. Soviel sei verraten, die beigefügte Grafik hat seit gestern größere Verbreitung in Deutschland und hängt an vielen Zeitungskiosken aus. Wir sind gespannt auf Ihre Assoziationen und etwaigen Fundstücke.« |
Hier einige erste Reaktionen auf die noch kleinere mit der eMail herumgeschickte Grafik [die namentlich gekennzeichneten Beiträge wurden von den AutorInnen mit dem Zusatz »quoteable« versehen. Ausdrücklich als nicht zitierfähig angegebene eMails werden hier selbstverständlich nicht wiedergegeben]:
»Ich sehe die Weltkugel (Afrika und Spanien links), auf der die Kontinente in die Karikatur "Der ewige Jude" geformt sind. Oben auf der Karikatur-Kugel ist der Hut vom US-Amerikanischen "Uncle Sam". Evtl. wird die Weltkugel durch ein Vergrößerungsglas gesehen. Deutung: Juden beherrschen Amerika beherrscht die ganze Welt (wenn man genau hinguckt). Rauchen=Dekadenz.« (Historiker, USA)
»Mich erinnert die Graphik eindeutig an den "Stürmer" und seinen Feldzug gegen Plutokratie und Judentum.« (Historiker, Hamburg)
»30er Jahre "jüdisch-bolschewistische" Gefahr. Da gabs mal so Propagandaplakate. [...] Aber es gibt da viel ähnliches...«
»da Sie um Reaktionen bitten, hier auch mein ganz spontaner Eindruck: es ist die schon so oft empfundene tiefe Abscheu angesichts übelster antisemitischer Propaganda im Stürmer-Stil. Nun ist sie also wieder da - und das ist außerdem sehr besorgniserregend, denn sie findet offenbar wieder fruchtbaren Boden vor. Auch mir kommt diese Darstellung des "vom Weltjudentum beherrschten Globus" vage bekannt vor, aber da diese Art der Verunglimpfung so häufig war, sagt das nicht viel. Ich werde aber meine Augen offen halten.«
»einen Déjà-vu-Effekt habe ich nicht. Kenne auch kein vergleichbares Bild. Eine Message kann ich auch nicht entschlüsseln, ich sehe am ehesten einen Embryo in einer Fruchtblase, kann mir aber den Yankee-Hut und die deutsch eingefärbte Zigarre nicht erklären. Gespannt auf Erklärungen dazu wartend, ...«
»Could you send it again to me in a larger format? I think I can see what it represents, but I have trouble getting all the details since the picture is so small. What is the context? Antiglobalization, anti-Americanism, antisemitism from left/right? Very interesting.«
»zwar kenne ich keine ähnliche Grafik und habe auch keinen Blick auf die Zeitungskioske geworfen, diese scheint ja aber wohl antisemitisch zu sein in der rassistisch "gestilten" Physiognomie und in der Verbindung mit USA-Symbol und Weltkugel ("Weltherrschaft", "Weltjudentum") [das Wort zum Bild kann ich nicht lesen]. Dies nur auf die Schnelle!« (Historiker, Hamburg)
»Diese Grafik scheint ein altes antisemitisches Klischee zu transportieren: Das vom weltbeherrschenden amerikanischen Juden. (Das Gesicht erinnert an das Juden-Bild der Nazis und anderer rechtsextremer Gruppen) Ich hoffe, ich konnte ihnen mit dieser Assoziation irgendwie helfen.« (Journalist, Hamburg)
»Yes, Dr. Heyl, I see. The most memorable images of 1933-45 are from Julius
Streicher's, Der Sturmer. I went to the WEB and found www.calvin.edu/academic/cas/faculty/streich3.htm.
Scroll down near the bottom for an image similar to the one you speak. Also there is one on the dopey anti-Semitic and
revisionist, pro-nazi website: [...] And there are many images from Sturmer at
www.calvin.edu/academic/cas/gpa/sturmer.htm
Regarding your question about the current image, remembering that I do not speak or read Deutsche very well, it has some similarity but calling it
reminiscent of Nazi times might be a bit of a stretch. It is graphic and
depicts a greedy, somewhat unscrupulous Uncle Sam. Given our bullying of world markets and trade, our insinuation of Macdonald's
Culture, I can understand the resentment. I don't think it has to necessarily be
fascist. Having said that, I know that anti-Semitism and neo-Nazi sympathy are
enjoying a bit of a revival in Deutschland, and this might be a symptom...It bears watching, but I wouldn't make to much of the one image. If there
are many more, and they are being produced by the far right that is another matter because they do try emulate the Nazi era in many
respects. Allow an analogy. The smartest, most elegant uniforms any army of that time
were Wermacht and SS green. They had understated style. And today, the
uniforms in Germany are similar, sans riding or jack-boots. But the men who wear them today are not, nor is the government that heads this
army. Similarly just because a similar image is used does not mean that the intent
or purpose of the message is the same. Alan Jacobs«
»Matthias--take a look at our web page under "Visions of the Other" under "Virtual Holocaust Museum." We have on there a collection of old postcards, some as old at the turn of the century, that fit the vision. While Der Sturmer made a lot of these things popular and unfortunately enduring, other countries had them as well: i.e. Bolshevik anti-capitalist and anti-religious posters of 1918-22 and even images in the USA. [www.chgs.umn.edu]. Dr. Stephen Feinstein, Director [of the] Center for Holocaust and Genocide Studies, University of Minnesota«
»Ich sehe die Gefahr zwar durchaus, aber nicht im Zusammenhang mit dem Bild der Wirtschaftswoche. Die Diskussion auf Ihrer Seite in dem Zusammenhang ist interessant und durchaus angebracht, denn die antisemitischen Gefühle sind natürlich wieder/noch sehr weit verbreitet in Deutschland. Mit besten Grüßen, Charlotte Opfermann«
»The Wirtschaftswoche illustration is reminiscent of the cover illustration from the 1930s for "The Protocols of the Elders of Zion." I think you're right; this is disconcerting, even if this is accidental.«
»Leute, Ihr seid völlig durchgedreht. Hier einen anti-semitischen Zusammenhang sehen zu wollen, wirkt auf mich total konstruiert und an den Haaren herbeigezogen. Die Art, wie Ihr die Diskussion auf Eurer Website ausgelöst habt (z.B. ohne den Kontext der Grafik zu zeigen), ist einer "Forschungsstelle" unwürdig und kann nur als unseriös bezeichnet werden. Hört auf mit einem solchen Quatsch! Seid Ihr so arm an Themen, dass Ihr zu solchen Methoden greifen müsst, um eine Diskussion auf Eurer Seite auszulösen? Wie wärs denn stattdessen mit einer Kontroverse über Finkelsteins Buch "Die Holocaust-Industrie"?« [unbekannt]
»Eine persönliche Anmerkung zu dem letzten Diskussionsbeitrag sei mir vielleicht erlaubt, da ich der »Durchgedrehte« bin, der für diesen »Quatsch« auf dieser Seite verantwortlich ist. Der unfreundliche Einstieg (»Leute, Ihr seid völlig durchgedreht.«) ärgert mich schon, ist aber vielleicht dem Ärger über die auf unserer Website begonnenen Diskussion geschuldet. Angesichts einer größeren Zahl von Reaktionen, die eine Nähe der Bildersprache der diskutierten Titelgrafik zu antisemitischen Bildtraditionen herstellen, fühle ich mich in meiner »völlig durchgedrehten« Verunsicherung durch das Bild ein wenig bestätigt. Meine persönliche Annahme war nicht, dass die Abbildung eine antisemitische Botschaft transportieren sollte und dass die Wirtschaftswoche nunmehr zu einem antisemitischen Blatt geworden wäre, sondern dass hier - möglicherweise unbewusst - bestimmte Bildelemente einer - wenn Sie so wollen - sehr mächtigen graphischen Tradition wirksam werden, die ein mehrfaches unterschwelliges (antisemitisches und antiamerikanisches) Ressentiment bedienen. Um nun herauszufinden, ob diese Annahme Ergebnis meiner »deformation professionelle« ist (zumal ich beruflich in letzter Zeit viel mit rechtsextremistischen Websites zu tun habe, die das in Wort und Bild verbreiten, was einige der Antwortenden in dem Bild als unterschwellige Botschaft zu erkennen glaubten), ob sie nur »konstruiert« ist und sich gefallen lassen muss, als »an den Haaren herbeigezogen« gescholten zu werden, habe ich über den Verteiler der FAS um Reaktionen auf das Bild gebeten, ohne anfangs den tatsächlichen Kontext der Grafik oder die vermutete Deutung der grafischen Tradition deutlicher anzusprechen (siehe oben). Der »Kontext der Grafik« ließ sich aber über diese Seite und einen Link zur »Wirtschaftswoche« erschließen. Es ging mir bei der Nachfrage in einem ersten Durchgang einerseits darum, die Assoziationen der Befragten nicht durch meine eigenen Annahmen einzuschränken. Da mir die Bildelemente aus älteren graphischen Darstellungen vertraut zu sein schienen, habe ich gleichzeitig nach ähnlichen Bildern gefragt. Andererseits wollte ich den Kontext »Titelgrafik - Wirtschaftswoche« nicht gleich einführen, um nicht - ohne die notwendige eingehendere Diskussion über den Kontext und die Aussage der Grafik - dafür verantwortlich zu sein, dass viele entrüstete Reaktionen in einer schnellen Empörung bei der »Wirtschaftswoche« eingehen. Es ging mir darum, eine Diskussion anzuregen, keine Kampagne. In vorschneller Entrüstung wäre es ein Leichtes gewesen, der Grafik eine antisemitische Absicht zu unterstellen und zum Protest dagegen aufzurufen. Genau das haben wir nicht getan. Dieses Vorgehen erscheint mir einer Forschungsstelle durchaus nicht »unwürdig«, den Vorwurf, »unseriös« gehandelt zu haben, weise ich als Initiator dieser Debatte auf dieser Website entschieden zurück. Mit »Quatsch« fangen wir auf dieser Seite erst gar nicht an. Sind wir »so arm an Themen«, dass wir »zu solchen Methoden greifen müsst[en], um eine Diskussion« auf unserer Seite auszulösen? Nein. Ich begreife es durchaus als eine Herausforderung, diese Diskussion weiterzuführen: wie weit wirken antisemitische Traditionen in unserer Kultur weiter, weil sie vielleicht als ein sehr mächtiger und oft nur abgespaltener Teil zum Repertoire unserer Kultur gehören und weiterwirken? Wie steht es um die unbewusste Tradierung antisemitischer Klischees und Deutungen? Und auch: Wo reagieren wir - wie von dem unbekannten Absender der letzten eMail für diese Debatte offenbar angenommen - als "Alarmisten" unangemessen und reflexhaft? Wo beginnt beispielsweise der Missbrauch der Kategorie des Unbewussten als schützendes Argument der bloßen Unterstellung (dass man dem »Beschuldigten«, der sich zur Wehr setzt, klug erklärt, »sicher, Sie haben es nicht so gemeint, aber...«)? Auf dieser Website jedenfalls wurde nicht unterstellt, sondern zur Diskussion aufgerufen. Einen Platz für solche Diskussionen zu schaffen, ist und bleibt der FAS ein Anliegen.« [Matthias Heyl, FAS]
»Jemand, der die Seriosität der FAS bezweifelt, und ihr Vorgehen gegen eine - vielleicht vom Illustrator ungewollte, dennoch - evident antisemitische Konnotation in der besagten Darstellung - als „einer Forschungsstelle unwürdig" bezeichnet, zwei Sätze später aber - statt dessen? - die Polemik Finkelsteins diskutiert haben möchte, sei an dieser Stelle auf mindestens zwei Sachverhalte hingewiesen. Erstens: Die Tatsache, dass Finkelsteins Buch seit Januar auf Deutsch erhältlich ist, muss nicht unbedingt zu einer Diskussion in Deutschland führen - wie etwa bei Goldhagen. Es geht nämlich um ein nicht genuin deutsches Thema - anders als bei Goldhagen. Zweitens: Die Tatsache, dass Finkelsteins Buch erst seit Januar auf Deutsch erhältlich ist, heißt nicht, dass nicht bereits diskutiert wurde. Auf Englisch wurde bereits alles Nötige zu diesem Buch gesagt und es ist unserer Forschungsstelle nun wirklich unwürdig, für die Thesen dieses Buchs Übersetzungsarbeit zu leisten.« [Silke Ghobeyshi]
»Sie sehen, die Wiwo steht in "guter Tradition". Ich habe mir heute die Wiwo in natura angesehen: wer hier keinen antisemitischen Bezug erkennt ist blind oder er findet nichts dabei, weil dieses Denken wieder salonfähig geworden ist. Ich werde meine Beschwerde sowohl an die Chefredaktion als auch an den Presserat in Bonn richten, voraussichtlich morgen. Mit besten Grüßen, Monika Muggli«
»I think you are being oversensitive. Indeed, the face in the picture strikes me as the stereotypical 'capitalist' image of yesteryear. That is to say, the face is of an overweight, presumably exploitative person. No anti-semitism there, rather lack of imagination on the part of the artist.«
»Thank you very much for the picture. I looked at it carefully and here is my opinion. Though the picture seems to be done in a similar style as the old antisemitic pictures it doesn't have the important characteristics attributed to Jews and prevalent in such pictures. I saw a lot of them during my childhood in Poland between 1939-1945. A Jew in such pictures had large crooked nose, big lips, large lop-ears. This presentation of a Jew ressembles the pictures of witches on Halloween who have the same large crooked nose. Both representations have source in the Catholic church which persecuted both the Jews and the women as witches. Apparently a crooked nose was a mark of "badness." However the nose of the American in your picture, though large, is not crooked but bulbous, his lips are rather thin with a cigarette holder between them and his chin up. All this features descends of Communist's caricatures of American capitalists vaguely based on President Roosevelt face. I saw a lot of them as well during my life in Poland between 1945-1959. I hope that this helps.«
»It seems to me that even if one reads the face in Wirschaftwoche as semitic, the usual implication of the association of a semitic face with the globe is that Jews control the world, whereas here the implication is that "when America catches cold, the whole world sneezes". The moral we are asked to draw is not that one has to break free of American (Jewish?) control, but that it is important to safeguard the health of this large and important economy.«
»I downloaded the Wirtschafst Woche's website and studied the cover I believe that the cover represents a plain human face which was taken too near the lens of a camera and thus shows a normal human nose increased in size due to the nearness of the lens. The eyes, seem to be half closed due to the fever that the subject would have as the title: “How dangerous is the American flu?” seem to imply. I understand your worry that the face looks, under that camera angle, very similar to the classic representations of the Jews, as represented in all cartoons published by the Nazi magazine “Der Stuermer.” This bi-weekly magazine was published by Julius Streicher, Gauleiter of Franconia, from I believe, 1925 until 1945., with the mission to convince the German people to hate Jews even more. Der Stuermer used the services of a Nazi cartoonist named Phillippe Rupprecht, or FIPS, his “nom de plume”. FIPS joined the staff of Der Stuermer, from December 1925, and with the exception of 1927, drew cartoons until 1945. He drew thousands of vivid and revolting anti-Jewish caricatures. His representations of Jews remained consistently the same: thick lips, small pig-like eyes, big, hooked nose and a need of a shave. Strangely, FIPS was described as being, short, fat, ugly, unshaven, drooling, sexually perverted, bent nosed, with pig-like eyes, a visual embodiment of his own cartoons. That is, what I believe, are the caricatures that you are mentioning. To see some of FIPS's cartoons, I recommend to look in the following book: "Julius Streicher, the man who persuaded a nation to hate Jews.", Randall L. Bytwerk, author. Published in 1983 by Dorset Press, New York, NY. If you have additional questions, please do not hesitate to contact me. Regards...«
»Ich versuche, die erbetenen Hausaufgaben zu machen. Hier die Assoziationen: Amerikanisches Judentum (Uncle Sam-Hut, stereotypisiertes "jüdisches" Gesicht) setzt sich weltweit durch (Globus) auf Kosten Deutschlands (Zigarre? in deutschen Farben). Leider war die Vergrößerung etwas grobrastrig, so dass ich weitere Details vielleicht übersehen habe. Hat das Bild etwas mit dem Erscheinen der deutschen Ausgabe von Finkelsteins Buch und der damit verbundenen Promotiontour zu tun? Ich bin gespannt auf weitere Informationen!« [Verena Radkau, Braunschweig]
»Es geht wohl um "US-Plutokraten" und um die "jüdische Weltverschwörung". Das dürfte wohl der Finkelstein-Rezeption in Deutschland geschuldet sein, oder?«
Eine sicherlich wichtige Reaktion ist die von Holger Windfuhr, dem Art Director der »Wirtschaftswoche«. Er schreibt in einer eMail:
[Letztes Update dieser Seite: 22.02.2001]