Abschließende Betrachtungen und Ausblick der Studie über Lehrerfortbildungen in den Ländern der Bundesrepublik Deutschland zu den Themenfeldern Nationalsozialismus, Holocaust, jüdische Kultur und Geschichte, Rechtsextremismus und Antisemitismus 1990 – 2000/2001  

(Archiv, 2001)


 

Valide Ergebnisse über den ersten Versuch einer Bestandsaufnahme und die Beschreibung von ablesbaren Tendenzen hinaus sind von der hier vorgestellten Studie nicht zu erwarten. 

Für eine Analyse, die stärker die je themenspezifischen Trends herausarbeiten könnte, fehlt es unserer Einrichtung derzeit an den dafür notwendigen finanziellen Ressourcen. Insofern ist diese Studie aus pragmatischen Gründen auf halbem Weg stehen geblieben. Allerdings dürften ihre Ergebnisse doch einige Anhaltspunkte für die weitere Akzentuierung der von uns nachgefragten Themengebiete geben.

Für die Akzentuierung unserer eigenen Arbeit finden wir eine Reihe von Bestätigungen in den Ergebnissen dieser Inventarisierung.

Bei der Themenstellung der Seminare zur Geschichte des Nationalsozialismus und des Holocaust scheinen Überblicksveranstaltungen und gedenkstättenpädagogische Exkursionen zu überwiegen. Aus verschiedenen, jeweils darzulegenden Gründen erscheinen uns einige weitere thematische Profilierungen in der Lehrerfortbildung ratsam.

Interdisziplinarität und Fachorientierung. Der hohe Grad der Orientierung auf das Fach Geschichte und die Fächer Gemeinschafts-/Sozialkunde und Politik und - abfallend - auf die Fächer Religion, Ethik und Deutsch lassen eine Reihe fächerübergreifender Projektformen und Angebote für den Unterricht in den Lehrerfortbildungen sinnvoll erscheinen. Vielfach fehlt es noch bei kursorischer Durchsicht der Themenstellungen der Seminare und der in unterschiedlichem Maße dokumentierten Seminarprogramme an der dafür nötigen Interdisziplinarität der Angebote.

Orientierung auf Schularten. Die starke gymnasiale Ausrichtung der gemeldeten Angebote und die gleichzeitige durchgehende Berücksichtigung des Bereichs der Haupt-, Real- und Mittelschulen (die Unsicherheit bezüglich der Gesamtschulen wurde bereits in der Problemdarstellung mit einem Erhebungsfehler begründet) wären angesichts der föderalen Struktur der Bundesrepublik länderweise in Relation zur Verbreitung der Schularten zu setzen. Deutlich ist jedoch die Orientierung auf die Sekundarstufe. Vor dem Hintergrund der Anfragen aus dem Berufsschulbereich und aus Gesprächen mit LehrerInnen aus Berufsförder- und Sonderschulen erscheint uns hier eine stärkere Hilfestellung für den Umgang mit rechtsextremistischen Tendenzen für LehrerInnen dieser Schularten sinnvoll und nötig.

Der Träger der FAS, der Hamburger Verein SterniPark e.V., hat 1998 die weltweit erste Tagung zu der Frage veranstaltet, ob der Holocaust bereits im Primarbereich Gegenstand sein solle. An einigen Grundschulen gibt es dazu Projekterfahrungen, und die universitäre Diskussion scheint in den vergangenen Jahren in Deutschland hier erheblich ausgeweitet zu sein. Es vergeht kein Monat, in dem die FAS nicht mindestens eine Anfrage von Studierenden oder ReferendarInnen für das Lehramt an Grundschulen um Recherchehilfen für Qualifikationsarbeiten nachfragen, und das auf unserer Website eingerichtete Grundschulforum erfreut sich mit den dort herunterladbaren Hausarbeiten, die teilweise unter Beratung seitens der FAS entstanden sind, größter Nachfrage. Dieses von uns wahrgenommene Interesse einer nachwachsenden LehrerInnengeneration bildet sich in den Lehrerfortbildungsangeboten noch keineswegs wieder. Da die Diskussion zu der pädagogischen Beschäftigung mit der Geschichte des Holocaust im Grundschulalter noch relativ am Anfang steht und kontrovers geführt wird, könnten aus entsprechenden Fortbildungsangeboten auch neue Impulse hervorgehen, indem die erziehungswissenschaftlichen Fachdiskussionen wieder stärker in den Kontext pädagogischer Praxis gestellt werden. 

Multiperspektivität und individuelle Entscheidungssituationen und Handlungsspielräume im Unterricht über den Holocaust. Der in der internationalen fachwissenschaftlichen Diskussion um eine "Holocaust Education" zu hörende und bereits in vielen Unterrichtsmaterialien ("Holocaust Curricula") im internationalen Raum in der pädagogischen Umsetzung wiederzufindende Forderung nach multiperspektivischen Zugängen, die individuelle Entscheidungssituationen und Handlungsspielräume einzelner in den Mittelpunkt rücken, scheinen am ehesten die Angebote des Fritz-Bauer-Instituts, Frankfurt, und der Forschungs- und Arbeitsstelle (FAS) "Erziehung nach/über Auschwitz", Hamburg, Rechnung zu tragen. Dafür sind Genese der pädagogischen Ansätze und die Teilnahme beider Einrichtungen an der internationalen Diskussion mit entscheidend. Beide sind unter anderem im Rahmen der "Task Force for International Cooperation on Holocaust Education, Research and Remembrance" für das Auswärtige Amt beratend tätig und gehören der "Assoziation of Holocaust Organizations" an. Das in verschiedenen Ländern übernommene Angebot der "Konfrontationen" des Fritz-Bauer-Instituts geht auf dessen Zusammenarbeit mit der amerikanischen Organisation "Facing History and Ourselves" zurück, und auch das Konzept der "Gesellschaft des Holocaust" der FAS ist durch die Analyse amerikanischer, israelischer und niederländischer "Holocaust Curricula" beeinflusst. Insgesamt scheint dieser Ansatz jedoch in den Fortbildungen der beteiligten Länder noch ausbaufähig.

Multikulturalität im Unterricht über den Holocaust. Die Fragestellung, wie der Unterricht auf die vielfach vorzufindende Multikulturalität der SchülerInnen (und damit in der Zusammensetzung der Lerngruppen) reagieren solle, wenn es um die Geschichte des Nationalsozialismus und des Holocaust oder um die anderen von uns erkundeten Themenfelder geht, scheint in den Fortbildungsangeboten der an dieser Studie beteiligten Einrichtungen eher im Hintergrund zu stehen (explizit erscheint diese Fragestellung nur in einer Seminarankündigung, vgl. Seminar HE-LF-002-1993-001). Brückenfunktion mögen Seminare zur Vorbereitung von internationalen Austauschprojekten haben, in denen die Multikulturalität allerdings folgerichtig vorrangig nach außen gewendet wird. Für die Fragestellung, welche Folge es für die pädagogische Praxis hat, dass eine Vielzahl unserer SchülerInnen durch ihren familialen Hintergrund auch über keine direkt vermittelten Bezüge zur Geschichte des Nationalsozialismus / Holocaust verfügen, oder aber dass die Auseinandersetzung mit jüdischer Religion, Kultur und Geschichte für SchülerInnen mit moslemischem Hintergrund andere Anknüpfungspunkte bietet oder erfordert, gibt es bislang noch wenig Hilfestellung. Hier können wiederum das Frankfurter Fritz-Bauer-Institut und die Hamburger Forschungs- und Arbeitsstelle (FAS) "Erziehung nach/über Auschwitz" beanspruchen, als "Trendsetter" zu fungieren.

Einsatz "neuer Medien". Bei der - hier nicht dokumentierten - Durchsicht der in den Seminaren verwendeten Materialien und Medien fällt auf, dass die (eigentlich schon nicht mehr ganz so) "neuen Medien" CD-ROM und Internet in den Lehrerfortbildungsangeboten weitestgehend unberücksichtig bleiben. Vorrang haben Textarbeit, Video/Film und die Exkursion oder angeleitete Spurensuche vor Ort. Hier dürften die Angebote der FAS zum Einsatz "neuer Medien" vorerst noch eine Ausnahmeerscheinung sein, die aber in den kommenden Jahren bei stärkerer Integration dieser Medien an Gewicht, Verbreitung und Nachfrage gewinnen dürften. Da die FAS - z.T. in Kooperation mit dem "Transatlantischen Klassenzimmer e.V." Online-Projekte zum Thema Holocaust anbietet, ist uns bewusst, dass etwa die historische Recherche zur Geschichte des Holocaust mit Hilfe von Suchmaschinen im Internet fast unweigerlich auch zu Seiten der rechtsextremistischen Holocaust-Leugner führt. Nach unseren Erfahrungen mit schulinternen Veranstaltungen führt der Erfahrungsvorsprung vieler (meist männlicher) Schüler im Umgang mit dem Medium dazu, dass sie eher als ihrer LehrerInnen bereits einmal auf solche Seiten gestoßen sind. Oft reagieren LehrerInnen der gesellschaftlichen Fächer mit einer gewissen Zurückhaltung gegenüber dem unterrichtlichen Einsatz des Internets, zumal hier oft ein fächerübergreifender Ansatz - etwa mit dem Englischunterricht - nötig wäre.  

Die Zahl allein der deutschsprachigen rechtsextremistischen Websites wird derzeit auf etwa 1.000 geschätzt. Nach Einschätzung verschiedener Sicherheitsorgane verwendet die rechtsextremistische Szene besondere Mühe auf die Gestaltung "attraktiver" Websites mit der Zielgruppe Jugendliche. Oft leben diese Seiten von dem Reiz des Verbotenen und des Tabubruchs. Da Beobachter der Szene feststellen, dass mehr und mehr Rechtsextremisten sich von der Holocaust-Leugnung zum Bekenntnis zum Holocaust umorientieren, könnten bald auch entsprechende Angebote im Internet die Wucht des Tabubruchs erhöhen. 

Mit unseren diesbezüglichen Fortbildungen vermitteln wir LehrerInnen einerseits einen Einblick in die entsprechenden "Angebote". Andererseits versuchen wir ihnen auch zu zeigen, dass sie hier in einer ihrer Kernkompetenzen gefragt sind. Mit den Mitteln der "Quellenkritik" lässt sich hier eine "Media Literacy" (Medienkompetenz) erwerben und fördern, die es den Jugendlichen erleichtert, solche Seiten richtig einzuordnen. Über das "Absurfen" beispielhafter Seiten zeigen wir den LehrerInnen, wie sie entsprechende Seiten identifizieren können (und nach welchen Codebegriffen die Anhänger der Szene und manche ihr nahestehende SchülerInnen in der Regel suchen, um eindeutige Seiten zu finden). Gleichzeitig versuchen wir auch, die vielfältigen Recherchemöglichkeiten für den Unterricht zu beleuchten, um den LehrerInnen die Angst vor dem Medium zu nehmen.

Für die Unterscheidung zwischen vertrauenswürdigen Seiten (wie der des US Holocaust Memorial Museums, der israelischen Gedenk- und Forschungsstätte Yad Vashem oder der FAS) bedarf es letztlich einer Medienkompetenz, von der schon das Wort Rabbi Meirs im Talmud kündet:

"Betrachte nicht den Krug, sondern dessen Inhalt, es gibt neue Krüge, die alten Wein enthalten, und alte, in denen nicht einmal neuer Wein." [Sprüche der Väter, IV: 27]

Der rechten Szene dieses Medium zu überlassen, wäre jedenfalls fatal.  Im Zweifel ist das Internet ein Distributionsweg für alles, was Rechtsextremisten propagandistisch nutzen, und ein Internetanschluss reicht, um sich Hitlers "Mein Kampf", Klassiker des deutschen Rechtsextremismus und Antisemitismus sowie die Literatur der "Revisionisten" bis hin zu menschenverachtenden und volksverhetzenden "Spielen" (wie "Nazi-Moorhuhn", "White Power Doom" und KZ-Manager) und der aggressiven Musik der Skinheadszene herunterzuladen. Derzeit haben die Rechtsextremisten hier in der Nutzung des Internets die Nase vorn.

Anhand der von uns gesammelten und teilweise mitzuverantwortenden CD-ROMs zur Geschichte des Holocaust und des Nationalsozialismus (die FAS trägt die Verantwortung für die pädagogische  Konzeption der CD-ROM "Erinnern für Gegenwart und Zukunft. Überlebende des Holocaust berichten" der "Survivors of the Shoah Visual History Foundation", die Anfang des Jahres bei Cornelsen herausgekommen ist; ich selber war an der Übersetzung der CD-ROM "Gegen das Vergessen" beteiligt) lassen sich Chancen und Grenzen ihres Einsatzes diskutieren. Durch die Möglichkeit, (mittlerweile über zehn) verschiedene CD-ROMs (aus Deutschland, Großbritannien, den USA und Israel) nebeneinander selbst zu erproben - von der Installation bis zum pädagogischen Einsatz in Selbstlern-, Stationenlern- und Gruppensituationen - ergibt sich eine von LehrerInnen immer wieder gern wahrgenommene Chance zur anschließenden, durch erste eigene Erfahrungen fundierte gemeinsame Reflexion.


 

Fortsetzende Erhebung

In fünf Bereichen sehen wir die Notwendigkeit der Fortsetzung der mit dieser Erhebung eingeleiteten Forschung:

Den konkreten, praxisrelevanten Nutzen einer solchen Erhebung sehen wir bei der Inventarisierung der Angebote darin, dass allgemeine und länderspezifische Tendenzen der Akzentuierung hier ihren Niederschlag finden, thematische Blindstellen aber ebenso schnell sichtbar werden. Die Rückmeldung aus der schulischen Praxis kann dabei zu Anfragen an die Einrichtungen führen, die zu einer stärkeren praxisrelevanten Akzentuierung der theoretischen und praktischen Angebote beitragen können.

Gleichzeitig entstünde im Idealfall ein Kompendium der mit den untersuchten Themenfeldern identifizierten ExpertInnen im Bereich der Lehreraus- und -fortbildung, das einerseits bei der Suche nach kompetenten AnsprechpartnerInnen für die Einrichtungen und andererseits als Nachschlagewerk für an einem Erfahrungsaustausch interessierten KollegInnen dienen könnte. Damit wäre also ein Beitrag zur stärkeren Profilierung der deutschen fach-, hochschuldidaktischen und methodischen Diskussion geleistet. In den vielfältigen internationalen fachwissenschaftlichen Debatten um eine "Holocaust Education" oder Erziehung nach und über Auschwitz sind deutsche Beiträge noch eher die Ausnahme.