Gedenktage

Hinweise für den Unterricht (2002)


 Die FAS hat hier eine Seite eingerichtet, in der Sie weiterführende Informationen und zum Teil bereits für den Unterricht aufbereitete Quellensammlungen zu bevorstehenden Gedenk- und Erinnerungsanlässen erhalten. Sie finden hier Hinweise zu Informationsangeboten zu bestimmten Gedenkanlässen. 

Hintergrund | Der Europarat hat am  31. Oktober in Straßburg seinen 43 Mitliedsstaaten erneut vorgeschlagen, dass die Schulen in Europa mit einem Gedenktag an den Holocaust und andere Verbrechen gegen die Menschlichkeit erinnern sollten. In der Entschließung werden die zuständigen Behörden aufgefordert, gegen »Fälschungen und ideologische Manipulationen« im Geschichtsunterricht vorzugehen und dafür zu sorgen, dass geschichtliche Tatsachen in den Schulbüchern nicht verzerrt dargestellt oder ganz verschwiegen würden. In Deutschland ist der 27. Januar seit 1996 offizieller Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus. Eine grundsätzlichere Darstellung zur Gestaltung dieses Tages bietet eine Dokumentation, die wir im Auftrag des Auswärtigen Amtes für die »Task Force on International Cooperation on Holocaust Education, Research and Remembrance« erstellt haben. Diese Dokumentation finden Sie hier in deutscher und englischer Sprache als PDF-Dateien.

 

Chronologie ausgewählter GeDenkanlässe 


 

20. Januar. Fünfzehn Vertreter der Ministerialbürokratie und der SS trafen sich am 20. Januar 1942 zu einer Koordinierungssitzung in einer Villa am Berliner Wannsee, zur sogenannten Wannsee-Konferenz. Sie sprachen dort über die organisatorische Durchführung der Entscheidung, die Juden Europas in den Osten zu deportieren und zu ermorden.  Zum 50. Jahrestag der Konferenz wurde in dem Haus am 19. Januar 1992 eine nationale Gedenk- und Bildungsstätte errichtet: die erste zentrale deutsche Gedenkstätte zur Erinnerung an den Holocaust. Online finden Sie die Gedenkstätte Haus der Wannsee-Konferenz unter www.ghwk.de. Das Protokoll der Konferenz ist hier abrufbar...

27. Januar: Der von Bundespräsident Herzog ins Leben gerufene Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus am Jahrestag der Befreiung des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz im Jahre 1945 ist für viele Schulen Anlass für eine intensivere thematische Auseinandersetzung mit dem Thema Holocaust. Für die Vorbereitung dieses Tages können wir einige Unterrichtsprojekte anbieten. Demnächst soll hier eine fächerübergreifende Unterrichtseinheit für diesen Tag publiziert werden. 

1. April: Ein Flugblatt aus Harburg. Unter dem Hakenkreuz heißt es: »Kauf deutsche Waren, aus deutscher Hand; Kaufst Du beim Juden, verrätst Du Dein Vaterland.« »Verantwortlich für den Inhalt« zeichnete R. Hastedt aus Harburg, gedruckt wurde der Zettel bei Kühne, Knoopstraße 3. Das Flugblatt ist undatiert und war von einem aus Harburg geflohenen Juden aufbewahrt worden - als »Mittel gegen Heimweh«, wie er später bekannte. Am 1. April 1933 fand auf den Straßen des Deutschen Reichs der sogenannte »Abwehrboykott« statt - ein von den Nazis geplanter und durchgeführter Boykott gegen Geschäfte jüdischer Eigentümer, Rechtsanwalts- und Arztpraxen usw. Auch in Hamburg und im damals selbständigen Harburg-Wilhelmsburg. Wir dokumentieren hier beispielhaft die Harburger Ereignisse um den 1. April 1933. Zu Wort kommen Täter und Verfolgte in Quellen, Dokumenten und Interviews.  

16. Oktober: Der Leiter der FAS hat zum Abschluss seines Beitrags zu einer Tagung des Kreisjugendrings Nürnberg-Stadt mit dem Titel »Kinder und das ‚Dritte Reich‘ – muss das sein?« im Dezember 2000 zwei pointierte Vorschläge zur künftigen Nutzung des Reichsparteitagsgeländes formuliert: er empfahl ein Freudenfest auf dem Gelände für den 16. Oktober 2001 aus Anlass des 55. Jahrestages des Todes von Julius Streicher und anderen führenden Nazis, die in Folge des Nürnberger Prozesses hingerichtet wurden, sowie die Freigabe des Geländes zur Zerstörung durch die Jugendlichen der Stadt - als öffentlich geförderte Form eines  »Abtrags« der schauerlichen Relikte der Selbstinszenierung der Nazis. Den vollständigen Text des Vortrags von Matthias Heyl finden Sie in der 65-seitigen Dokumentation PÄDAGOGIK WIDER DAS VERGESSEN. Dokumentation »Kinder und das ‚Dritte Reich‘ – muss das sein?« Eine Fachtagung zu Projekten der pädagogischen Arbeit mit Kindern rund um das Nürnberger Dokumentationszentrum auf dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände (Schutzgebühr 5, - DM. Bestelladresse: Kreisjugendring Nürnberg-Stadt, Hintere Insel Schütt 20, 90403 Nürnberg, Tel. 0911/2450-1/2,  Fax 0911/2449235) und im Grundschul-Forum der FAS.  

25. Oktober: Am 25. Oktober 1941 verließ ein erster Transport mit 1.034 Hamburger Juden die Stadt in Richtung Lodz in dem Teil des besetzten Polens, den die Deutschen seinerzeit »Warthegau« nannten – und Lodz trug damals den Namen »Litzmannstadt«. Aus Anlass des 60. Jahrestages des Transportes vom haben wir für Sie hier eine für den Unterricht aufbereitete Quellensammlung vorbereitet.... Dort finden Sie Zeugnisse von Ermordeten, Überlebenden und für das Geschehen verantwortlichen Tätern.

28. Oktober: Am 28. Oktober 1938 wurden reichsweit Juden polnischer Herkunft und deren Familien aus Deutschland, Österreich und dem Sudetenland nach Polen abgeschoben. Darunter die Familie von Herschel Grynszpan, der den Nazis mit seinem Attentat auf den Mitarbeiter der deutschen Botschaft in Paris den willkommenen Anlass für die antijüdischen Ausschreitungen am 9. und 10. November 1938 bot. In der Gesamtschau wurden am 28.Oktober 1938 etwa 18.000 Juden abgeholt und in der Folge nach dem Grenzgebiet deportiert, und um den 9.November 1938 herum wurden etwa 30.000 weitere Juden, in die deutschen KZs verschleppt, ohne dass sich größerer Widerspruch in der nichtjüdischen Bevölkerung regte. So wurden insgesamt fast 50.000 Menschen jüdischer Herkunft innerhalb zweier Wochen aus ihrer Umwelt gerissen. 50.000 Menschen, also fast ein Siebtel der Anfang 1938 noch im »Altreich« lebenden 350.000 Juden. Deportationen und offener Terror, überwiegend »diszipliniert« und organisiert, erwiesen sich für die nationalsozialistischen Machthaber so als gangbare Wege der Verfolgung - es regte sich kein bemerkenswerter Widerstand dagegen. Den Anfang dieser Verschärfung setzte die Deportation am 28. Oktober 1938. Zeugnisse zu den Ereignissen aus der Perspektive Überlebender aus Hamburg-Harburg finden Sie hier... 

9. November: Vielen Historikern gelten die Ereignisse des  9. / 10. November 1938 als eine Art »Testfall« der antijüdischen Politik der Nazimachthaber. Hier finden Sie Quellen aus einem lokalhistorischen Beispiel - dies geschah am 10. November 1938 in Hamburg-Harburg... Grundsätzlichere Überlegungen zu diesem historisch gleich mehrfach besetzten Tag und eine Darstellung der Gedenkaktivitäten in den Ländern der Bundesrepublik Deutschland haben wir hier gesammelt... Grundsätzlichere Überlegungen zur »erinnerungspolitischen Besetzung« des 9. November und eine Dokumentation haben wir hier bereitgestellt...

6. Dezember: Deportation Hamburg - Riga, 1941. Ein letzter Brief der Thekla Bernau (Jg. 1900) aus dem »Judenhaus« in der Hartungstraße vom Vorabend des Transports (zum Kontext siehe unser Hamburg-Forum):

»Nun wissen wir es: Am 5. oder 6. Dezember geht es fort. Keiner fragt, wohin. Jeder weiß es, und keiner gesteht es sich ein. Wir sind jetzt elf in den zwei Zimmern Hartungstraße. Die Borowers sind die Ältesten und beide krank. Werden sie die Reise überstehen? Wolf B[orower] sagt zu seiner Fanni, es werde das gelobte Land. Und wenn sie wimmert und versucht, das geschwollene Knie auszustrecken, streichelt er sie und sagt, sie müsse sich über die Eisblumen an den Fenstern freuen. Solch schöne Eisblumen dieses Jahr! Wie nie zuvor. Und draußen sei alles so fröhlich, der Krieg nicht zu spüren. Ob sie schon die Fichten und die Tannen gesehen hat, die bald in die Häuser geholt werden. Die Christen schmücken die Tannen; aber wir haben jetzt Chanukka und nicht einmal einen Leuchter, nur die Eisblumen. Eisblumen ersetzen manchmal die Chanukkaleuchter. Der Kopierstift ist so hart, dass ich ihn mit den Lippen feucht machen muss. Wenn ich alles überdenke, werden meine Lippen trocken, und ich kann nicht mehr schreiben. Für wen schreibe ich? Vielleicht, dass Margarethe und Selma es eines Tages doch noch lesen werden. Ob es in Friendsfield auch so kalt ist? Wo liegt Friendsfield? Es liegt weit ab von Dannenberg, wo ich geboren wurde, und weit ab von der Hartungstraße in Hamburg. So weit ab, dass ich von hier nach da keine Gedanken hinüberschicken kann. Laura Mosbach stammt aus Bünde in Westfalen und kann Zigarren aus alten Blättern und Zeitungspapier drehen. Aber weder die Wenkels, noch die Grothkopps wollen sie rauchen. Sie ist traurig. Wer will heute schon rauchen! Am Morgen kommen dreimal hintereinander SS-Leute und wollen unsere Papiere. Wir sagen, dass wir sie schon haben abgeben müssen und dass wir registriert sind. Ob es nicht etwas zum Heizen für den Ofen gibt und einen Arzt für Fanni Borower. Sie grinsen und sagen, wir brauchten keinen Ofen mehr und Ärzte gebe es nicht einmal für die anständigen Menschen. Für die anständigen Menschen, sagt er. Und Fanni Borower sagt, es ginge ihr schon besser. Keine Umstände. Keiner will „Umstände“, weil man dann ausgesondert wird und gleich mitkommen muss. Wer weiß, wohin. Mittags um zwei gibt es für jeden ein Stück Brot, Marmelade und etwas Schmalz. Keiner fragt, ob das zusammenpasst. Wir essen das alles auf. Wie die Ratten, die auch alles aufessen und nicht fragen, ob es zusammenpasst. Dazu gibt es aus einer Kanne heißen Malzkaffee. Dann kommt eine Frau. Dick und grobschlächtig. Leibesvisitation! Sie greift jedem unters Hemd, in die Hosen. Wir müssen die Arme hochhalten und die Beine breit machen. Sie fühlt alles durch und nimmt der alten Borower die Tinktur für das Knie weg. Das sei Alkohol, sagt sie. Und für Juden sei jeglicher Alkohol verboten. Bei Todesstrafe. Fanni wimmert, Wolf hält ihr den Mund zu. Die Frau sagt, dass sie einen Pullover für ihren Sohn für Weihnachten stricke. Aber so schöne Wolle wie in dem Schal von der Wenkel bekomme man nirgendwo. Die Juden hätten immer alles. Das beste! Aber bald würde sie auch solche Wolle besitzen. Vielleicht morgen schon. Die Wenkel knotet sich den Schal fest um den Hals. Sie will nicht, dass ihr Schal für den Weihnachtspullover der Dicken aufgerippelt wird. Die Frau sagt, dass es morgen in aller Frühe losgehe. Wir würden geweckt, und dann müssten wir auch die Uhren abliefern und die Eheringe. Und wehe, wer etwas verstecke. Ich werde auch mein Geschriebenes abgeben müssen; vielleicht gelingt es niemals nach Friendsfield zu Margarethe und Selma. Niemals! Alles, was wir hier tun und denken, ist „niemals“! Der alte Borower erduldet am Nachmittag einen Herzanfall. Wir massieren ihn und müssen frische Luft hereinlassen, obwohl alle frieren. Er ist blau im Gesicht, und wir geben ihm den Rest aus der Kanne zu trinken. „Es wird das gelobte Land sein!“ sagt er immer wieder. „Ihr werdet es sehen!“ Er sagt es und sagt es und hat keinen Glauben mehr an das gelobte Land. Nachdem wir das Fenster geschlossen haben, sind die Eisblumen verschwunden. Es sind weniger Leute auf der Straße. Zwei schwarze Autos parken vor dem Haus. Bewacher. In vier Häusern sind wir alle untergebracht. Über uns weinen Kinder. Gegenüber ist Lärm im Haus. Da werden Kerzen angesteckt. Und als es schummrig wird, kommt ein Mann die Straße herunter, der sich als Nikolaus verkleidet vor der Türe. Erst zieht er einen roten Umhang an, dann setzt er eine Larve auf und eine hohe Mütze. Er hat einen Sack in der Hand und eine Rute. Ist heute der Nikolaustag oder morgen? Man vergisst, was ist. Es wäre besser, man könnte noch mehr vergessen. Der Mann kommt in das Zimmer, der Lärm wird stärker. Lichter, Lärm, Freude, Geschenke… Am Abend habe ich einen Weinkrampf. Die Wenkel sagt, dass es wie bei den vorigen Transporten sei. An der Sternschanze stünden die Viehwagen. Offen. Frauen für sich, Männer für sich. In Altona kämen Wagen aus Kiel und Hannover dazu. Wolf will nicht von Fanni getrennt werden. Er jammert, dass er es nicht wie sein Freund Bukofzer gemacht hat. Bukofzer und seine Frau haben sich erhängt. Wozu erhängt man sich? Ich muss alle meine Kräfte zusammennehmen und nur daran denken, dass Margarethe und Selma in Friendsfield in Sicherheit sind. Jetzt ist es kurz vor Mitternacht oder schon später? Drüben feiern sie. Lichter, Wärme. Der Hauswart kommt und sagt, es wäre besser, ihm alle Wertsachen, die wir noch hätten, in Verwahrung zu geben. Ich habe nichts. Nur diese Blätter und den Kopierstift. Er besorgt mir einen alten Umschlag. Dort hinein werde ich jetzt alles stecken und ihm geben. Er soll es an Margarethe und Selma schicken. Er verspricht es. Ich schreibe nun nichts mehr. Adieu, meine Lieben. Denkt nicht schlecht von mir.« | Aus der Liste des Transportes vom 6. Dezember 1941, von Hamburg nach Riga: Thekla Bernau, 29.5.1900, Dannenberg - Fanni Borower, geb. Schwarz, 21.11.1875, Posen - Wolf Borower, 20.2.1870 Neustadt - Laura Mosbach, geb. Horwitz, 1.2.1876 Bünde - Zerline Wenkel, geb. Joseph, 2.7.1879 Altona. | Aus dem Gedenkbuch der »Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Deutschland 1933-1945«, Bundesarchiv Koblenz, 1986: Bernau, Thekla, 29.05.1900, verschollen in Riga - Borower, Fanni, geb. Schwarz, 22.11.1876, verschollen in Riga - Borower, Wolf, 20.02.1870, verschollen in Riga - Mosbach, Laura, geb. Horwitz, 01.02.1876, verschollen in Riga - Wenkel, Celine, geb. Joseph, 02.07.1879, verschollen in Riga.

11. Dezember: Deportation von Juden aus Duisburg, Krefeld und anderen Städten nach Riga (1941). Hauptmann Salitter von der Schutzpolizei berichtet: »Der für den 11.12.1941 vorgesehene Judentransport umfasste 1.007 Juden aus den Städten Duisburg, Krefeld, mehreren kleineren Städten und Landgemeinden des rheinisch-westfälischen Industriegebietes. Düsseldorf war nur mit 19 Juden vertreten. Der Transport setzte sich aus Juden beiderlei Geschlechts und verschiedenen Alters, vom Säugling bis zum Alter von 65 Jahren zusammen. Die Ablassung des Transportes war für 9.30 Uhr vorgesehen, weshalb die Juden bereits ab 4.00 Uhr an der Verladerampe zur Verladung bereitgestellt waren. Die Reichsbahn konnte jedoch den Sonderzug, angeblich wegen Personalmangels, nicht so früh zusammenstellen, so dass mit der Einladung der Juden erst gegen 9.00 Uhr begonnen werden konnte. Das Einladen wurde, da die Reichsbahn auf eine möglichst fahrplanmäßige Ablassung des Zuges drängte, mit der größten Hast vorgenommen. […] Auf dem Wege vom Schlachthof zur Verladerampe hatte ein Jude versucht, Selbstmord durch Überfahren mittels Straßenbahn zu verüben. Er wurde jedoch von der Auffangvorrichtung der Straßenbahn erfasst und nur leicht verletzt. Er stellte sich anfänglich sterbend, wurde aber während der Fahrt bald sehr munter, als er merkte, dass er dem Schicksal der Evakuierung nicht entgehen konnte. Ebenfalls hatte sich eine ältere Jüdin unbemerkt von der Verladerampe, es regnete und war sehr dunkel, entfernt, sich in ein nahe liegendes Haus geflüchtet, entkleidet und auf das Klosett gesetzt. Eine Putzfrau hatte sie jedoch bemerkt, so dass auch sie dem Transport wieder zugeführt werden konnte. Die Verladung der Juden war gegen 10.15 Uhr beendet. Nach mehrmaligem Rangieren verließ der Zug dann gegen 10.30 Uhr den Güterbahnhof Düsseldorf-Derendorf in Richtung Wuppertal… Die Fahrt verlief dann planmäßig und berührte folgende Städte: Wuppertal, Hagen, Schwerte, Hamm. Gegen 18 Uhr wurde Hannover-Linden erreicht… Um 3.30 Uhr hatte der Zug auf der Station Berlin-Lichterfelde einen Aufenthalt von einer halben Stunde… Der Zug hatte bereits 155 Minuten Verspätung. Die Fahrt wurde dann über Küstrin, Kreuz, Schneidemühl, Firchau fortgesetzt… Kurz vor Konitz riss der Wagen wegen seiner Überbelastung auseinander. Auch zerriss das Heizungsrohr. Der Zug konnte jedoch behelfsmäßig repariert seine Fahrt bis Konitz fortsetzen. … Um 12.10 Uhr verließ der Zug den Bahnhof Konitz. […] Um 1.50 Uhr ging es weiter nach Tilsit… Um 5.15 Uhr wurde die Grenzstation Laugzargen und nach 15 Minuten die litauische Station Tauroggen erreicht. Von hier aus sollte die Fahrt bis Riga normal nur noch 14 Stunden betragen. Infolge des eingleisigen Bahngeländes und der Zweitrangigkeit des Zuges in der Abfertigung gab es auf den Bahnhöfen oft lange Verzögerungen in der Weiterfahrt. Auf dem Bahnhof Schaulen (1.12 Uhr) wurde die Begleitmannschaft von Schwestern des Roten Kreuzes ausreichend und gut verpflegt. Es wurde Graupensuppe mit Rindfleisch verabfolgt… Um 19.30 Uhr wurde Mitau (Lettland) erreicht. Hier machte sich schon eine erheblich kühlere Temperatur bemerkbar. Es setzte Schneetreiben mit anschließendem Frost ein. Die Ankunft in Riga erfolgte um 21.50 Uhr, wo der Zug auf dem Bahnhof 1½ Stunden festgehalten wurde. Hier stellte ich fest, dass die Juden nicht für das Rigaer Ghetto bestimmt waren, sondern im Ghetto Skirotawa, 8 km nordostwärts von Riga, untergebracht werden sollten. Am 13.12., um 23.35 Uhr erreichte der Zug nach vielem Hin- und Herrangieren die Militärrampe auf dem Bahnhof Skirotowa. Der Zug blieb ungeheizt stehen. Die Außentemperatur betrug bereits 12 Grad unter Null. Da ein Übernahme-K[omman]do der Sta[ats]po[lizei] nicht zur Stelle war, wurde die Bewachung des Zuges vorläufig von meinen Männern weiter durchgeführt. Die Übergabe des Zuges erfolgte alsdann um 1.45 Uhr, gleichzeitig wurde die Bewachung von 6 lettischen Polizeimännern übernommen. Da es bereits nach Mitternacht war, Dunkelheit herrschte und die Verladerampe stark vereist war, sollte die Ausladung und die Überführung der Juden in das noch 2 km entfernt liegende Sammelghetto erst am Sonntag früh beim Hellwerden erfolgen. Mein Begleit-Kdo. Wurde durch z vom Kdo. D. Sch. Bereitgestellte Pol.-Streifenwagen nach Riga gebracht und bezog dort gegen 3 Uhr Nachtquartier. Ich selbst erhielt Unterkunft im Gästehaus des Höheren SS- und Polizei-Führers[…]« Nachzulesen in dem Buch  »Thema Holocaust - Ein Buch für die Schule« , das Sie bei der FAS erhalten können.

13.Dezember: Deportation aus Osnabrück nach Riga (1941)  - Irmgard Heimbach (Jg. 1927) beschrieb als Überlebende die Ereignisse in einem Bericht aus dem Jahre 1946 so: »Mitte November des Jahres 1941 bekamen wir die Nachricht, dass wir am 13.Dezember des Jahres nach Riga/Lettland „evakuiert“ würden. So nannte man mit feinen Worten unsere Verschleppung. Wir durften pro Person hundert Pfund Großgepäck und unser Handgepäck mitnehmen. Am 11.Dezember wurde unser Großgepäck abgeholt und in einer Turnhalle in Osnabrück aufgestapelt. Am nächsten Tag, also am 12.Dezember, wurden wir von der Gestapo abgeholt und unter deren Bewachung zur Turnhalle gebracht, nachdem sie unsere Wohnungen, die wir vollständig zurücklassen mußten, versiegelt hatten. In der Turnhalle hatte man inzwischen auch die Juden der Umgebung Osnabrücks versammelt. Wir übernachteten auf einem Strohlager und wurden am anderen Morgen unter Begleitung der Gestapo zum Bahnhof geführt. Unser Großgepäck wurde in einen besonderen Waggon geladen. Als der Zug auf dem Osnabrücker Hauptbahnhof einlief, brachte er schon die Juden aus Münster/Westfalen und Umgebung. Mit groben Worten der Gestapo wurden wir in die Abteile getrieben und ab ging der Zug. In Bielefeld wurden ebenfalls noch jüdische Personen der Stadt, sowie aus Minden und Umgebung, „eingeladen“. Unser Transport bestand aus 1.009 Personen. Nach zweitägiger Fahrt in einem unbeheizten Zug kamen wir auf einem Verladebahnhof in Riga an. Wir mußten aber noch die ganze Nacht im Zug bleiben. Am anderen Morgen, als es hell wurde, sahen wir ringsumher hohen Schnee. Wir merkten, dass wir im Osten waren, denn die strenge Kälte machte sich bemerkbar. Etwas später kam die SS mit Gummiknüppeln und trieb uns aus dem Zug. So hatten wir gleich einen schönen Empfang und einen kleinen Vorgeschmack für unser künftiges Leben. […] Nun marschierten wir, geführt von bewaffneten lettischen Posten, zwei Stunden lang, bis wir plötzlich ein mit Stacheldraht umzäuntes Stadtviertel sahen. Ein Getto! Unser Gefühl bei dem Anblick unserer „neuen Heimat“ lässt sich mit Worten wohl sehr schwer sagen. Im Getto angelangt, kamen uns schon unsere Glaubens- und Leidensgenossen entgegen, welche im Laufe der letzten Tage ebenfalls mit Transporten zu je 1.000 Menschen aus den verschiedensten Gegenden Deutschlands hier eingetroffen waren. Es waren Transporte aus Köln, Kassel, Düsseldorf etc. Es wurden uns einige Häuser angewiesen, in deren Räumen wir Wohnungen suchen sollten. Bei Betreten derselben bot sich uns ein schreckliches Bild: Es waren eingerichtete Wohnungen, aber sie waren in einem wüsten Durcheinander. Die Möbel und Kleidungsstücke waren durcheinandergeschmissen, die Töpfe standen auf dem Herd, das Essen auf dem Tisch. Allerdings waren die Speisen zu Eis gefroren. Wir standen entgeistert und wussten weder Rat noch Erklärung. Dann räumten wir den Schmutz beiseite und schmissen die Kleidung hinaus, weil wir noch glaubten, unser Großgepäck zu bekommen, welches aber nie eintraf. Später wurde uns die Erklärung über alles zuteil: In der Stadt Riga lebten 40.000 Juden. Als im Juli 1941 die Deutschen in Lettland einmarschierten, kamen alle ins Getto. Kurz vor unserer Ankunft wurden sie von der SS und vom SD bis auf etwa 4.000 Männer und 150 Frauen erschossen. Teils im Getto, teils wurden sie einige Kilometer weiter in den Hochwald getrieben worden, wo sie tags zuvor selber ihr Grab schaufeln mußten. Sie waren fluchtartig aus ihren Wohnungen getrieben worden. Später hatte die SS die Wohnungen durchwühlt und Schmuck, gute Kleidungsstücke und dergleichen herausgeholt. Die überlebenden lettischen Juden wurden im benachbarten Getto, von uns durch Stacheldraht getrennt, untergebracht.« Nachzulesen in dem Buch »Thema Holocaust - Ein Buch für die Schule« (S. 253-255).